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10. März 20

Agile Innovationszellen in einer Expertenorganisation etablieren

Wie kann die themen- und bereichsübergreifende Innovation in einer Expertenorganisation mit stark ausgeprägtem Bereichs-denken gestärkt werden?*

Das hier vorgestellte Beratungsprojekt startete mit folgender Ausgangssituation: Eine hoch erfolgreiche, international agierende Expertenorganisation im Bereich der Forschung stößt aus Sicht der obersten Führung an die Grenzen ihrer Innovationskraft. Die Möglichkeiten, die sich durch neue Technologien und die Digitalisierung eröffnen, können nicht mehr ausreichend rasch wahrgenommen werden. Hierarchische Orientierung, langfristige Planung und Bereichsdenken machen die Organisation schwerfällig und verzögern das Aufgreifen übergreifender Themen.

Der Auftrag an die Beratung lautet, eine Innovationszelle zu etablieren, die weiterhin mit der Stammorganisation gut gekoppelt bleibt und die bereichsübergreifenden Kompetenzen bündelt. Diese neu zu schaffende Innovationszelle soll wachstumsfähig sein und Role-Modell für weitere Innovationszellen werden. Das Vorhaben ist ambitioniert: Bereits in der Startphase möchte man fünf Fachbereiche an diese Innovationszelle koppeln. Nach 3 Jahren sollen es 15 Fachbereiche mit weit über 100 Mitarbeitern sein, die in dieser innovativen Struktur zusammenarbeiten.

Grundüberlegungen der Beratung waren:

  • Es gilt neben dem Anspruch an effiziente Forschung im Exploit-Modus die grundsätzliche Innovation (Explore-Modus) zu stärken. (Zum Grundwiderspruch Exploit-Explore siehe auch: March, J.G. (1991). Exploration and Exploitation in Organizational Learning. Organization Science 2(1), S. 71-87 sowie Charles A. O'Reilly III und Michael L. Tushman, Lead and Disrupt, 2016).
  • Diese Herausforderungen - die unter dem Schlagwort Ambidexterity lebhaft diskutiert werden - als reine Führungsaufgabe zu sehen, führt zumeist zur Überforderung der Führung
  • Eine strukturelle Entkoppelung der Innovationszelle hat zudem sehr oft eine wechselseitige Abwertung der beiden Seiten Exploit und Explore zur Folge. Wir haben bereits in vielen Branchen hoch dotierte "Innovation-Labs" scheitern gesehen.
  • Daher braucht es eine kluge Kopplung der Innovationszelle mit der Stammorganisation.
  • Teilweise existieren bereichsübergreifende, serielle Prozesse die eine feine Abstufung zwischen klassischem und agilem Management erfordern. Dies stellt sehr hohe Ansprüche an Führungskräfte und Teammitglieder.

Die nachfolgende Skizze zeigt die zentralen Stellhebel in diesem Organisationsdesign-Projekt

Die wichtigsten Stellhebel zur erfolgreichen Implementierung der Innovationszelle:

Koppelung mit der Stammorganisation und Gesamtsteuerung: Ein Team ausgewählter Führungskräfte aus den unterschiedlichen Bereichen der Stammorganisation bildet das Strategy-Board der Innovationszelle. Dieses richtet die Innovationszelle strategisch aus, verhandelt in festen Zyklen den Ressourcenbedarf mit der Stammorganisation und verantwortet die Ergebnisse und das Budget der Innovationszelle.

Das Strategy-Board entscheidet somit auch, welche Themen in der Innovationszelle bearbeitet werden sollen und priorisiert darauf aufbauende Projekte am Kanban-Board. Es nominiert die Product-Owner (siehe weiter unten), oder bei seriellen Projekten Projektleiter, für die einzelnen Innovationsthemen/Produkte.

In zweiwöchigen Sprints werden Ergebnisse und Ressourcen von den Product-Ownern gesteuert und vom Strategy-Board reviewed.

Diesen Führungskräften der Stammorganisation sind in der Innovationszelle selbst stabile Teams zugeordnet. Sie haben also eine doppelte Zugehörigkeit, sowohl zur Stammorganisation als auch zur Innovationszelle - und sie verstehen sich als kommunikative Brücke zwischen Stammorganisation und Innovationszelle.

Die Bereichsleiter der entsendeten Bereiche der Stammorganisation bilden den obersten Steuerungskreis - das Steering-Board. Dieses nominiert die Führungskräfte des Strategy-Boards mit einer 51 % Mehrheit und fungiert auch als allerletzte Eskalationsstelle bei (Ressourcen-)Konflikten. Das Steering-Board agiert zudem als Sparringspartner in der Phase der Entwicklung der Strategie und gibt diese frei.

Kundenzentrierung: Durch die Einführung der Rolle des Product-Owners wird eine konsequente Kundenorientierung strukturell etabliert. Für jedes neue Thema/Produkt ist ein Product-Owner verantwortlich. Er entwickelt die Vision für das Thema, die entsprechenden User Stories und die Definitions of Done im engen Austausch mit dem Kunden. Das Strategy-Board gibt dann das Thema und die zugehörigen User Stories frei und nominiert die Teams für dieses Innovationsthema. Im Zuge der regelmäßigen Sprint Reviews werden die Teilergebnisse evaluiert und mit den Erwartungen der Kunden abgeglichen. Product-Owner arbeiten nicht als Experten in den eigenen Teams mit.

Eigenverantwortung: Die Themen bzw. Produkte werden von hoch eigenverantwortlichen Teams entwickelt. Die Teams entscheiden selbst, ob sie mit agilen oder klassischen Prinzipien arbeiten und sie bekommen regelmäßiges Feedback von ihren Product-Ownern.

Wachstum und standardisiertes Onboarding: Die Innovationszelle hat einen klaren Wachstumsauftrag, der umso besser erfüllt werden kann, je stärker die Innovationszelle als attraktive Einheit von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wahrgenommen wird. Im Rückblick nach 1,5 Jahren auf dieses Projekt kann man sagen, dass es gelungen ist, die Innovationszelle mit einem entsprechend positiven Image auszustatten. Eine Auswahl und kontinuierlich weiterentwickelte Onboardingprozesse helfen, dass neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Innovationszelle rasch wirksam werden können.

Virtuelle Zusammenarbeit - von Anfang an: Schon im Gründungsauftrag für die Innovationszelle war klargestellt, dass es keine neue (räumliche) Infrastruktur für die Innovationszelle geben werde und dass die Teams, die Product-Owner und die unterschiedlichen Boards überwiegend virtuell zusammenarbeiten würden. Dafür braucht es gut funktionierende Kollaborationsplattformen und ein Bewusstsein für die Möglichkeiten und Grenzen der virtuellen Kooperation. Um frühzeitig Erfahrungen zu sammeln, haben wir die Prinzipien der virtuellen Zusammenarbeit von Anfang an im Beratungsprozess etabliert. So war es möglich, nach dem 2-tägigen-Kick-Off-Workshop, mehr als 70 % der Beratung in virtueller Form umzusetzen.

Rückblick auf das Projekt: Herausforderungen und Learnings:

Zwei Jahre nach Projektstart kann ich zufrieden auf ein erfolgreiches Projekt zurückblicken. Wesentlich dafür war, dass der Aufbau der Innovationszelle von sehr reflektierten und erfahrenen Führungskräften vorangetrieben wurde. Von Anfang an wurden die obersten Führungskreise der Stammorganisation für die Prinzipien und Besonderheiten der Innovationszelle sensibilisiert. So ist es gelungen, eine gemeinsam getragene Verantwortung für den Erfolg der Innovationszelle zu etablieren.

Ein wichtige Aufgabe der Beratung war - neben dem Entwurf des agilen Organisationsdesigns - die Führungskräfte an die neuen Prinzipien der Zusammenarbeit und die konsequente Kundenzentrierung heranzuführen. Simulationen und konsequentes Feedback haben sich dabei besonders gut bewährt.

Mit regelmäßigen Reviews und Retros im Abstand von ca. 6 bis 8 Monaten gelang es, das Zieldesign der Organisation im Detail zu justieren und Schritt für Schritt besser zu etablieren.

Die Kopplung der Innovationszelle mit der Stammorganisation scheint gut gelungen zu sein. Wichtig ist, dass diese Achse auch weiterhin gut funktioniert und die Akzeptanz der Innovationszelle durch intensive Kommunikation über Erfolge und Learnings laufend gepflegt wird.

Herausfordernd bleibt, dass die Strukturen der Innovationszelle keine klassischen Karrierepfade anbieten. Daher zeigt sich, dass die Mitarbeit in der Innovationszelle vor allem für junge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter attraktiv ist, während ältere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Chancen der "lustvollen Innovation" gegenüber der eigenen Positionssicherung im Unternehmen eher anders abwägen.

Für weiterführende Fragen stehen wir gerne zur Verfügung. 

*Der Case ist aus Gründen der Vertraulichkeit anonymisiert. Auf eine Erläuterung der agilen Elemente wie z.B. Kanban, Retrospektive, Product-Owner usw. wurde aus Effizienzgründen verzichtet. Im Detail wäre hier viel Anpassungsbedarf zu erläutern, da agile Prinzipien niemals 1:1 auf ein spezifisches Beratungsprojekt übertragen werden können.

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