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19. März 19

Wachsen und dabei agil bleiben

Neues Organisationsdesign, neu besetzte Rollen, neues Mindset

Das hier vorgestellte Beratungsprojekt für die bat-groupware zeigt, wie nachhaltige Agilisierung gelingen kann.

Die bat-groupware ist IT Dienstleister für den Raiffeisen-Sektor und befindet sich in einer Phase des starken Wachstums. Die Geschäftsführung der bat-groupware skizzierte die Ausgangssituation für dieses Projekt wie folgt:

  • Wir wachsen und laufen dabei Gefahr, unsere Schnelligkeit zu verlieren. Unsere drei Einheiten agieren sehr autonom - wir haben keine Projekte, die abteilungsübergreifende Kooperation fordern und fördern.
  • Wir können unsere Innovationskraft nur teilweise beim Kunden beweisen. Das Spannungsfeld zwischen Innovationsbedarf und effizienter Abwicklung wird größer.
  • Außerdem stehen wir vor einem tiefgreifenden Wandel - wir richten unser Geschäft neu aus: Die Rahmenbedingungen verlangen von uns, dass wir zu mehr als 50 % neue Kundengruppen erschließen.

Folgende Ziele schienen aus Sicht der Geschäftsführung relevant:

  • Wir sind technologische Speerspitze in unserem Portfolio, auch wenn kurze Entwicklungszyklen verlangt sind. Im Selbstverständnis sind wir Sparringpartner für unsere Kunden von der Auftragsklärung bis zur erfolgreichen Implementierung.
  • Wir haben eine starke, strategische Position im Kundensegment. Das Wachstum soll vor allem über Verbreiterung der Kunden und des Leistungsportfolios stattfinden.
  • Agile Vorgehensweisen in unseren Projekten erhöhen unsere Produktivität und inspirieren uns und unsere Kunden in der täglichen Arbeit.

Die gewählte Vorgehensweise

Wir (die Top-Führungskräfte gemeinsam mit der Beratung) haben für die Neuentwicklung des Organisationsdesigns und die anschließende Implementierung eine Vorgehensweise mit mehreren Schritten entwickelt. Das nachfolgende Bild skizziert die finale Projektarchitektur über den Zeitraum von ca. einem Jahr.

<small>Abbildung 1: Das Projekt "Agiles Organisationsdesign und Neubesetzung der Rollen" im Überblick</small>

Als ersten großen Meilenstein (Schritt 1 & 2) skizzierten wir eine hochagile Organisation mit eigenverantwortlichen Teams und maximaler Transparenz. Die erste Verprobung mit der Fokusgruppe warf uns auf den Boden der Realität zurück. Eine zentrale Aussage der Fokusgruppe war: "Wir halten das neue Organisationsdesign für attraktiv, glauben allerdings in unserem durchwegs (noch) konservativen Kundenumfeld und bei der aktuellen Führung nicht daran, dass diese Form der Organisation bei uns funktioniert."

Aufgrund dieses Feedbacks überarbeiteten wir das Organisationsdesign und kamen zu folgendem Organisationbild:

<small>Abbildung 2: Das zukünftige Organisationsdesign für die bat-groupware</small>

Dieses Organisationsdesign fand sehr positive Resonanzen. Hervorgehoben wurden die agilen Elemente, die strukturelle Förderung von Innovation und Vernetzung sowie die Wachstumsfähigkeit des Designs. Im nächsten Schritt (Schritt 3 gemäß Abb 1.) wurde der Unterschied zum Status Quo mit den Führungskräften erarbeitet, um die damit verbundenen Change-Herausforderungen zu verstehen.

Der größte Unterschied des neuen Organisationsdesigns zum Status Quo

In der neuen Organisation gibt es neben der Geschäftsführung keine klassischen Führungsfunktionen mehr. Die neuen Rollen sind eben nur Rollen und werden zu x % als Tätigkeit der Rollenträger wahrgenommen. Die Steuerung des Unternehmens erfolgt transparent am Unternehmens-Kanban nach Prinzipien der agilen Projektwelt. Folgendes Vorgehensmodell ist dabei leitend:

  • Die Business-Developer (BD) sorgen dafür, dass gemeinsam mit den Kunden neue Projekte entwickelt und Innovationen vorangetrieben werden.
  • Die Business-Developer verhandeln gemeinsam die Gesamt-Priorisierung des Unternehmensback-logs.
  • Dieses Unternehmens-Kanban ist für alle Personen (auch für Kunden) sichtbar.
  • Die Portfoliomanager (PM) treffen sich in regelmäßigen Stand-Up Meetings und entscheiden, wie die Abarbeitung des Unternehmens-Backlogs erfolgt. Sie arbeiten mit stabilen Portfolioteams und entscheiden teamintern, wie agil oder klassisch die Projekte vorangetrieben werden.
  • Innovationsbedarfe für das Gesamtunternehmen (Aufbau von neuem Wissen, die Anpassung interner Prozesse, Investitionsbedarfe in Infrastruktur etc.) werden von allen Verantwortlichen auf das Unternehmens-Kanban gesetzt und im Wechselspiel mit allen Kundenprojekten priorisiert.
  • Die Geschäftsführung arbeitet an den strategischen Fragen und wird nur im Eskalationsfall beigezogen.

Die Implementierung starten

Zentrale Frage beim Starten der Implementierung (Schritte 4 und 5 gemäß Abb. 1) war, wie die neuen Rollen besetzt werden sollen: Arbeiten wir mit dem bestehenden Führungsteam und ergänzen ggf. um weitere Personen oder starten wir einen Prozess zur Neubesetzung aller Rollen?

Allen Beteiligten wurde klar, dass eine Besetzung der neuen Rollen (BD, PM) mit den bestehenden Führungskräften das Risiko der Fortführung des Status Quo birgt. Das neue Organisationsdesign könnte zum "Papiertiger" werden.

Nach längerem Abwägen kamen wir zur Entscheidung, dass sich auch die bestehenden Führungskräfte für die neuen Rollen bewerben müssen - und zwar zu den gleichen Bedingungen wie andere Mitarbeiter aus dem Unternehmen.

Uns war bewusst, dass die nächsten Schritte eine hohe Sensibilität erforderten. Wir wollten vermeiden, dass die bestehenden Führungskräfte zu sehr irritiert werden oder sogar das Unternehmen verlassen - der IT-Markt bietet schließlich eine Vielzahl attraktiver Optionen.

Ein zentraler Erfolgsfaktor - die Neu-Besetzung aller Rollen

Der Bewerbungsprozess startete mit einem Motivationsschreiben aller Bewerber an die Geschäftsführung. Danach erhielten die Interessenten das Angebot, im Zuge einer Potenzialeinschätzung und eines professionell geführten Feedbackgesprächs ihre Stärken und Lernfelder zu erkennen. Darauf aufbauend konnte jeder entscheiden, ob er sich dem weiteren Bewerbungsverfahren stellt - oder auch nicht. Bis zu diesem Zeitpunkt konnten wir den Bewerbern Anonymität zusichern und ein gesichtswahrender Rückzug gegenüber den Kollegen war möglich.

Danach erfolgte ein Hearing vor einer gemischt besetzten Jury. Die Jury sprach ihr Feedback bzw. ihre Empfehlung an die Bewerberinnen und Bewerber und an die Geschäftsführung aus. Darauf aufbauend diskutierte die Geschäftsführung mit der Beratung als Sparringspartner die finale Besetzung und kommunizierte diese.

Auch dieser Schritt konnte für alle Beteiligten (auch für nicht ausgewählte Personen!) gesichtswahrend abgeschlossen werden. Kein abgelehnter Bewerber blieb nachhaltig irritiert zurück - und das Unternehmen hatte ein komplett neu aufgestelltes Führungsteam.

Positiv zeigte sich, dass sich die Bewerberinnen und Bewerber überwiegend für Rollen bewarben, die sehr stark auf ihren Stärken aufbauten. So bewarben sich z.B. ehemalige Führungskräfte, die die Personalführung bis dahin mit mäßiger Leidenschaft wahrgenommen hatten, ausschließlich für BD-Rollen ohne direkte Personalverantwortung. Abschließend (Schritt 6 gemäß Abb. 1) stärkten wir das neue Führungs-Team, etablierten stabile Feedback-Prozesse und versorgten das Team mit Impulsen zu "Agile Leadership". Ziel dabei war, das neue Führungsteam für die bestehenden Herausforderungen fit zu machen.

Ein Rückblick auf das Projekt - zentrale Erfolgsfaktoren

Dieses Organisationsentwicklungsprojekt hat insgesamt ca. ein Jahr gedauert. Heute wird dieses Unternehmen im eigenen Branchenumfeld als role model für eine erfolgreiche, agile Organisation wahrgenommen. Zentrale Erfolgsfaktoren für das Gelingen dieses Projektes sind aus Sicht der Beratung:

  • Als Grundvoraussetzung die Bereitschaft des Top-Führungsteams neue Wege zu gehen.
  • Das enge Zusammenspiel und das Vertrauen des Top-Führungsteams in die Beratung
  • Das Absichern des "Experimentiermodus" durch Reflexionsschleifen und die laufende Weiterentwicklung des Vorgehens.
  • Die professionelle Potenzialeinschätzung im Bewerbungsprozess als Unterstützung, um die eigenen Stärken zu erkennen und zu nutzen.

Geschäftsführer Mag. Christoph Reiter resümiert die Erfolge dieses Projektes wie folgt: »Eine zentrale Säule unserer Zusammenarbeit im Unternehmen und mit unseren Partnern ist Vertrauen. Die neue agile Organisationsform unterstützt diesen Gedanken maximal und spornt die Mitarbeiter zu Höchstleistungen in einem optimalen Arbeitsumfeld an. Wir sind alleine im Vorjahr knapp 30 % gewachsen - in einer klassischen Organisation wäre das nicht möglich gewesen.«

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