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22. Februar 15

Von "fuzzy culture" und Zuckerwürfeltürmen

 "Gelungene interkulturelle Interaktionsprozesse  werden – anders als 'Kritische Interaktionssituationen' – in Trainings bislang eher eingeschränkt thematisiert", so lautete eine zentrale Beobachtung von Prof. Dr. Jürgen Bolten (Lehrstuhl für Interkulturelle Wirtschaftskommunikation an der Friedrich-Schiller-Universität Jena) in einem kürzlich von SIETAR Deutschland organisierten Online-Seminar "Interkulturalität neu denken".

Als jemandem, der vor nunmehr 20 Jahren ein Forschungsprojekt der Volkswagen Stiftung an der Universität Regensburg über "Interkulturelle Synergie in Arbeitsgruppen" geleitet hat, klang mir dieser Satz sehr vertraut: In zahlreichen Experteninterviews und teilnehmenden Beobachtungen in mehrkulturell zusammengesetzten Teams standen damals immer wieder die Konflikte, die gegenseitigen Abwertungen und das generelle Unverständnis für "die Anderen" im Raum und ließen die Forschungsintention etwas blauäugig erscheinen. Allerdings basierte auch das seinerzeit vorherrschende Konzept der "Kulturstandards" auf einer zweiwertigen Logik ("entweder - oder"), im Unterschied zu dem von Jürgen Bolten vertretenen Konzept der fuzzy culture, die kulturelle Identität aus der Perspektive einer mehrwertigen Logik ("sowohl - als auch") über (Reziprozitäts-)Beziehungen zwischen Akteuren definiert.

Ich vermute, dass mit zunehmender globaler Vernetzung und "alltäglicher" internationaler Mobilität und Zusammenarbeit mittlerweile eine andere Sensibilität für interkulturelle Anregungspotenziale entstanden ist. Kulturalisierungen aufgrund von machtpolitischen und (vorgeschobenen) religiösen Interessengegensätzen scheinen zwar täglich das Gegenteil zu beweisen, gedeihen aber vor allem durch einen Mangel an interdependenter Interaktion oder werden durch krasse sozio-ökonomische Gegensätze befeuert. Da wird dann ganz schnell die Karte des "zentralen Attributionsfehlers" gezogen und Negativeigenschaften der ethnischen, religiösen oder nationalen Oberkategorie ("die Russen") zugeschrieben, während positive Gegenbeispiele als Ausnahmen individuell zugeordnet werden ("aber Alexej ist ganz anders ..").

Diese Tendenz kann – besonders in Arbeitsgruppen, deren Mitglieder zur Verfolgung eines gemeinsamen Ziels aufeinander angewiesen sind – allerdings auch für konstruktive Lernprozesse eingesetzt werden, indem zunächst auf der Mikroebene der täglichen Interaktion die Unterschiede, Präferenzen und "Eigenheiten" der Akteure betrachtet werden, um Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu entdecken, die  quer zu den nationalen, fachlichen oder ethnischen Differenzlinien verlaufen. Jürgen Bolten bezeichnet dies als kulturelles "Hinein-Zoomen": Die Entdeckung von Vielfalt innerhalb einer übergeordneten Kategorie verringert nicht nur die Tendenz zur Polarisierung, sondern eröffnet darüber hinaus neue Interaktionsformen und -konstellationen. Ihre Festigung ermöglicht dann auch ein "Heraus-Zoomen" in die Makroperspektive übergeordneter Zugehörigkeiten, z.B. bei der Aushandlung von Interessengegensätzen oder der Klärung von Konfliktlagen, ohne zwangsläufig in eine abwertende Polarisierung zu verfallen.

Auch die eingangs beschriebene Fokussierung auf gelingende interkulturelle Interaktionen kann als Hinein-Zoomen in die mikroanalytische Perspektive konkreter Verhaltensweisen verstanden werden – im interkulturellen Teambuilding können dafür Übungen zu zielorientierter Kollaboration eingesetzt werden, wie z.B. das „Zuckerwürfelturm“-Spiel, das in einem preisgekrönten Video des Intercultural Campus erläutert und gezeigt wird. 

Kleiner Tipp: Der Intercultural Campus bietet noch viele weitere Ressourcen - mit "campus" als Name- und Passworteingabe kann man sich dort als Gast umschauen …