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24. März 16

Unsere komplexe Welt – 13 Hypothesen für Führungskräfte

Als wir die Kontrolle verloren

Manche Führungskräfte sehen Organisationen und deren dynamisches Umfeld immer noch als etwas, das sie glauben kontrollieren zu können, wenn sie sich nur genug anstrengen. Oder, noch besser: sie denken, sie könnten das System in die von ihnen gewünschte Richtung lenken, ohne dadurch unvorhersehbare Nebenwirkungen auszulösen. Diese Einstellung wird bald verschwinden - durch die Evolution. Auf lange Sicht kann man nämlich nicht überleben, wenn man sich der Realität entzieht, und diese lautet: Komplexität.

Manche Führungskräfte verstehen diese Idee (der komplexen VUCA-Welt) bereits, reagieren aber leider falsch und mit einer eher fatalistischen Herangehensweise:

"Wenn wir die Situation nicht kontrollieren können, wieso sollten wir dann überhaupt noch Pläne dafür entwickeln?"

Die meiner Ansicht nach beeindruckenden und kompetentesten Führungskräfte werden mit dieser systemimmanenten Unzulänglichkeit jedoch mit folgender Einstellung fertig:

"Ich weiß zwar noch nicht, wie wir mit dieser komplexen Situation umgehen sollen, aber ich bin wachsam und wir werden aktiv daran arbeiten und beitragen, die Situation zu lösen."

Was ist eigentlich passiert?

Was ist passiert, dass das Tagesgeschäft für Führungskräfte immer unvorhersehbarer wird – beinahe so schwierig zu prognostizieren wie das Wetter im nächsten Monat?

Wenn man die VUCA-Welt von einem systemischen Blickwinkel aus betrachtet, haben wir als gesamte Gesellschaft unser bestehendes Kommunikationssystem erst vor kurzem völlig umgestaltet. Das ist passiert, weil digitalisierte Echtzeitkommunikation weltweit verfügbar wurde – für Einzelpersonen, für größere IT-Systeme, die ja schon länger (automatisch) vernetzt sind, durch das Internet und mit dem IoT (Internet der Dinge) – das diese Kommunikation noch drastisch ausweiten wird auf physische Gegenstände, Sensoren und Objekte.

Für unsere Next Society – wie es Peter Drucker schon bezeichnete - bedeutet das folgendes:

  • Eine sehr viel höhere Dichte (potenzieller) Kommunikationsverbindungen zwischen verschiedenen Elementen (Menschen, Systemen und Dingen)
  • Ein spontaner Informationsaustausch zwischen diesen Elementen – in Echtzeit
  • Eine dezentralisierte Entscheidungsgewalt, bei der es zu Echos, Resonanzen und Selbstorganisation kommen kann

Diese 3 Faktoren beschreiben auch nicht-lineare Systeme, bekannt aus der Chaostheorie, welche komplex und unvorhersagbar sind. Das bedeutet, wir haben es hier mit völlig neuen Dynamiken zu tun, die die Strukturen der post-modernen Gesellschaft wahrscheinlich revolutionieren werden.

Welche Auswirkungen wird das auf Führung haben?

Ehrlich gesagt wissen wir das noch nicht.

Aber zumindest können wir mit 13 Hypothesen arbeiten, um einige wichtige Faktoren näher zu betrachten und unsere Situation aus einer Führungsperspektive zu analysieren:

  1. Die Vernetzung zwischen Menschen, (Sub-)Systemen, Ressourcen, Märkten und geografischen Einheiten steigt.

  2. Ein größer werdender Radius von externen Faktoren (Systemumwelten) gewinnt höheren Einfluss auf Führung.

  3. Die Beobachtung, Selektion und Bewertung von Informationen gewinnt an Bedeutung als Kernkompetenz von Führungskräften.

  4. Die Grenzen von Organisationen – zwischen innen und außen – verschwimmen immer mehr und sind schwierig zu kontrollieren.

  5. Jedes erfolgreich gelernte Wissen über „Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge“ kann schnell obsolet werden.

  6. Die Überlagerung von Zuständen – von „richtig UND falsch“ gleichzeitig – ist die neue Norm.

  7. Entscheidungen werden immer weitreichender und deshalb auch risikoreicher.

  8. Die direkte Erreichbarkeit und Einbindung von Führungskräften steigt zu einer wesentlich größeren Kontaktfläche.

  9. Führungskräfte werden ihr Privatleben und persönliche Positionen kaum mehr von ihrer beruflichen Rolle trennen können.

  10. Die Machtverschiebung weg von Organisationen hin zu ihren Märkten, (potenziellen) Kunden und Mitarbeitern ist unvermeidbar.

  11. Alle digitalen Informationen und Kommunikationen sind im großen Maßstab unkontrollierbar können aber vollständig überwacht werden.

  12. Die psychologische Fähigkeit, mit Kontrollverlust umzugehen, wird zu einer weiteren Kernkompetenz für Führungskräfte.

  13. Das Selbstverständnis von Einzelpersonen, ihre Haltung und ihr Bewusstseinsgrad werden zum Veränderungstreiber für Organisationskulturen.

 

Diese Voraussetzungen stellen uns vor wirklich große Herausforderungen – vor allem im Vergleich mit dem noch gewohnten 20. Jahrhundert (Siehe Blogbeitrag "Leading in the digital age"). Und selbst wenn nur die Hälfte obiger Hypothesen auf Sie zutrifft, gibt es keine einfache Lösung dafür.

Also fragen Sie jetzt bitte nicht nach (vorgefertigten) Lösungen. Und trauen Sie auch niemandem, der diese anbietet.

Wir als Gesellschaft haben die Antworten einfach noch nicht gefunden, denn wir suchen noch und treiben in einem rasanten Fluss – am spürbaren Anfang dieses Transformationsprozesses.

Halten Sie Ihre Augen offen, bleiben Sie professionell topfit, praktizieren Sie eine Haltung der Achtsamkeit und suchen Sie Ihren eigenen Weg!

Everything is changing, everything is connected, pay attention!

Dieser Beitrag stammt von Jan A. Poczynek, systemischer Berater der osb international, der sich seit seiner ersten Atari 2600 Station in den frühen 80ern mit Digitalisierung beschäftigt. Sie finden Jan A. Poczynek

auch unter @poczynek

Quellen:

Wikipedia “VUCA”

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