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06. Oktober 20

Virtuelles Gruppencoaching

Führung meistern. In kritischen Zeiten. 

Mitte März 2020. Eben war alles noch normal. Dann binnen weniger Tage der Corona-Shutdown. Alles auf Null heruntergefahren. Als würde eine laute Maschine immer leiser. Und plötzlich ist nur noch Stille ... Führungskräfte mussten von jetzt auf gleich lernen, virtuelle Zusammenarbeit zu moderieren und zu koordinieren. Und gleichzeitig sahen sie sich in einem völlig neuen Grad auf sich allein gestellt.

Für diese nicht leichte Situation habe ich bei einem Kunden ein neues Format angeboten: Virtuelles Gruppencoaching. Sechs Führungskräfte sollten wöchentlich eine Stunde lang die Gelegenheit haben, aktuelle Führungsthemen online miteinander zu besprechen. Nach der Ankündigung eines Piloten meldeten sich innerhalb von nur zwei Tagen so viele Interessenten, dass wir sofort mit sechs Gruppen starten konnten. Ein bisher unbekanntes Format. Auf einer unternehmenseigenen Plattform, die gerade erst in Betrieb genommen worden war. Viel Neuland also für alle Beteiligten.

Best Practices und Führungsherausforderungen - so gehen wir vor

Zu Beginn stand jeweils die Frage: "Was war für mich eine Best Practice der letzten Woche?" Die Führungskräfte berichteten, was unter den neuen Rahmenbedingungen gut gelaufen war. Eine Teilnehmerin hatte ein virtuelles "After-Work-Meeting" eingerichtet, bei dem das Team gemeinsam den Tag Revue passieren ließ und man auch etwas Persönliches einfließen lassen konnte. Ein anderer Teilnehmer hatte ein Kanban-Board auf Trello angelegt, um einen gemeinsamen virtuellen Blick auf Erledigtes und Anstehendes zu ermöglichen.

Anschließend ging es um konkrete Anliegen: "Über welche Frage möchte ich mich heute austauschen?" Die Führungskräfte stellten stichwortartig ihre Fallbeispiele vor. Dann wurde darüber abgestimmt, an welchen Themen die Mehrzahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer interessiert war. Damit war die Reihenfolge der zu bearbeitenden Fälle festgelegt. Zwei bis drei davon konnten wir in unseren wöchentlichen Coachings bearbeiten. Zunächst brachten alle anwesenden Führungskräfte eigene Lösungsideen ein. Anschließend habe ich als Coach ergänzt - weitere mögliche Perspektiven angeregt und zusätzliche Lösungsansätze vorgeschlagen.

Mehrwert in sehr kurzer Zeit - der Anspruch an den Coach steigt

Mein Anspruch als Coach war, Lösungsansätze einzubringen, von denen möglichst alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer profitieren konnten. Das Gruppencoaching war diesbezüglich mit jenen Passagen in Führungstrainings vergleichbar, in denen Trainerinnen und Trainer ein konkretes Fallbeispiel nutzen, um einerseits möglichst praxisnah für die Fallgeber zu arbeiten und andererseits bewusst breit zu bleiben, um die Übertragbarkeit in andere Kontexte zu unterstützen.

Die Latte lag hier allerdings deutlich höher: Im Vergleich zu "normalen" Präsenztrainings standen die Führungskräfte unter einem viel höheren Zeitdruck. Der Alltag in Coronazeiten erforderte die tägliche Teilnahme an einer Vielzahl von virtuellen Meetings. Jedes einzelne der nur 1-stündigen Gruppencoachings musste einen unmittelbaren Wert schaffen, damit die Führungskräfte es für sinnvoll hielten, sich beim nächsten Mal wieder einzuloggen. Das war für mich als Coach durchaus anspruchsvoll. Da ich Fälle und Themen vorab nicht kannte, hatte ich eine Präsentation mit bewährten Perspektiven und Tools vorbereitet, die ich flexibel je nach Bedarf einsetzen konnte.

Erst die Tools, dann die Haltung - denn Vertrauen wächst hier langsamer

Im Präsenztraining arbeite ich zunächst an den Haltungen einer Führungskraft, weil "das, was ich bin, häufig lauter ist als das, was ich sage". Das Bewusstsein für die eigene (oft unbewusste) Haltung und die damit verbundene Frage der eigenen Glaubwürdigkeit stehen für mich daher an erster Stelle. Erst danach stellt sich die Frage nach geeigneten Tools. Dieses Vorgehen erfordert allerdings eine gute Vertrauensbasis. Damit ein solches Vertrauen entsteht, braucht es Zeit - und die ist im 1-stündigen Gruppencoaching äußerst begrenzt.

Das Gruppencoaching impliziert nicht nur durch die kurze Zeitspanne, sondern auch durch die Virtualität einen deutlich fragileren Rahmen. In diesem Format entsteht Vertrauen spürbar langsamer. Insofern ging es in den ersten beiden Wochen erst einmal um das Empfehlen passender Tools - etwa zu folgenden Fragen: "Wie kann ich in virtuellen Meetings schnell zu Entscheidungen kommen?" "Wie finde ich die richtige Dosis Kontakt zu jedem Teammitglied?"

Von Woche zu Woche wuchs das Vertrauen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erzählten in den Eingangsrunden allmählich mehr von eigenen Zweifeln. Damit entstanden Ansatzpunkte, um auch über zugrundeliegende Haltungen nachzudenken und die Selbstreflexion zu unterstützen. Eine Teilnehmerin klagte "Alle wollen immer Lösungen von mir!" Wir konnten besprechen, wie sie selbst durch ihre schnellen Antworten unbewusst dazu beitrug, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus der Verantwortung für eine eigene Lösungsorientierung zu "entlassen".

Trotz des eher fragilen Formats entstand nach und nach ein spürbarer Zusammenhalt in den einzelnen Gruppen: Wenn jemand nicht teilnehmen konnte, informierte er alle anderen per Mail. In einer Gruppe erzählte eine Teilnehmerin, dass drei von ihnen inzwischen parallel mehrfach pro Woche im selbstorganisierten Austausch miteinander seien; sie nannten es "unsere Selbsthilfegruppe". 

Virtuelles Gruppencoaching - bewährte Praxis für kritische Zeiten

Der Sommer und die Urlaubszeit begannen. Inzwischen ist es Herbst und die meisten von uns kehren zu einer neuen Normalität zurück. Die Gruppencoaching-Erfahrung ist erst einmal beendet. Sie hat sich bewährt - für Momente, in denen eine unerwartet kritische Situation entsteht und Führungskräfte schnell und flexibel in ihrer Handlungsfähigkeit unterstützt werden sollten.

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