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27. August 20

Virtuell und/oder Präsenz - worauf ist zu achten?

Woran orientiert man sich als Organisatorin oder Organisator von Veranstaltungen (Meetings, Workshops, Trainings usw.) bei der Frage, wann diese eher virtuell und wann in Präsenz angeboten werden sollten? Hier ein kleiner Leitfaden zur Navigation.

Es gibt keine pauschale Antwort, ob für eine Gruppe grundsätzlich ein virtueller oder physischer Raum besser geeignet ist. Ein passgenauer Aufsatz braucht zunächst einen differenzierten Blick auf die gegebene Situation (Gruppe, Thema, Ressourcen). Die Entscheidung ob virtuell oder Präsenz hat erheblichen Einfluss auf mehrere Aspekte des sozialen Miteinanders (Zusammenhalt in der Gruppe, Statusverhältnisse, Verhalten, Verständigung miteinander) und somit auf die Wirksamkeit der Veranstaltung. Wie die Entscheidung auch fällt: Man kann aktiv auf den Erfolg der sozialen Interaktion einwirken, indem alle vier Aspekte vor und während Meetings oder Workshops thematisiert, beobachtet und gegebenenfalls modifiziert werden.

Schritt 1:
Analyse der gegebenen Situation als Entscheidungsgrundlage mithilfe einiger Leitfragen

Gruppe (sozial):

  • Wie gut kennen sich die Mitglieder der Gruppe bereits persönlich?
  • Wie offen und vertrauensvoll ist das Gesprächsklima in der Gruppe?
  • Wie belastbar sind die Beziehungen der Gruppenmitglieder in konfliktreichen Situationen?
  • Wie routiniert ist das Zusammenspiel der Gruppe im virtuellen Raum?
  • ...

Thema (inhaltlich):

  • Wie klar umrissen ist der inhaltlichen Schwerpunkt und der Umfang des Themas?
  • Wie gut lässt sich das Thema vorbereiten und strukturieren?
  • Wie eingeübt ist die gemeinsame Sprache für das Thema?
  • ...

Ressourcen (zeitlich):

  • Welchen zeitlichen Druck hat das Thema?
  • Wie viel zeitlichen Spielraum gibt es für Themen abseits der inhaltlichen Agendapunkte?
  • Wie sehen die technischen und räumlichen Rahmenbedingungen der Gruppenmitglieder aus?
  • ...

Schritt 2:

Nach dem Treffen einer Entscheidung (virtuell, physisch) ein Bewusstsein für fördernde oder hindernde Auswirkungen auf Aspekte des sozialen Miteinanders schaffen

  1. Zusammenhalt in der Gruppe
    Hohe Kohäsion ist die Grundlage für Vertrauen und sorgt damit für eine höhere Belastbarkeit von Gruppen. Dabei ist sowohl sozialer (Beziehungen, Identität) als auch inhaltlicher (Aufgaben, Ziele) Zusammenhalt von Relevanz. Wenn eine Gruppe sich noch nicht kennt und das Thema nicht gut umrissen ist, beschleunigen Präsenztreffen die Entwicklung sozialer Nähe. Virtuelle Räume hingegen beschleunigen inhaltliche Kohäsion. "In einer unserer virtuellen Fortbildungsveranstaltungen mit 12 einander unbekannten TN wurden nach kurzer Zeit Modelle intensiv diskutiert. Trotz bewusster Räume für den informellen Austausch fühlten sich die TN jedoch nicht ausreichend im persönlichen Kontakt, weshalb eine Folgeeinheit als Treffen in Präsenz gestaltet wurde."
  2. Statusverhältnis 
    Statusmerkmale strukturieren Gruppeninteraktionen durch sichtbare Charakteristika (Alter, Geschlecht...) und Verhalten (Sprechzeit, Ausdrucksweise...). Diese Struktur ist wichtig für das Aushandeln von tragfähigen Entscheidungen, kann gruppendynamisch jedoch auch herausfordernd sein. Wie Entscheidungen ausgehandelt werden, muss im virtuellen Raum besonders gut beobachtet und moderiert werden. Gleichzeitig können im virtuellen Raum inhaltliche Beiträge mehr "ungestörten" Raum bekommen, da Statusverhältnisse weniger klar erlebt werden. "Nicht jeder Person liegt es, im virtuellen Raum zu debattieren. Zurückhaltende Teilnehmende moderieren wir daher in virtuellen Workshops gezielt ein - besonders dann, wenn wir sie aus Präsenzterminen als relevante Beitragende kennen. Gute Erfahrungen haben wir auch mit Handzeichen gemacht, die aus der soziokratischen Entscheidungsfindung kommen. Die Haltung jedes/jeder Teilnehmenden zum aktuellen Thema wird dabei sichtbar und kann thematisiert werden."
  3. Verhalten
    Gruppen verhalten sich nach eigenen Regeln. Deren Etablierung ist die "kulturelle" Basis für den Umgang miteinander. Sowohl im physischen als auch im virtuellen Raum werden implizite und explizite Verhaltensnormen verhandelt und beobachtet. Wenn die Gruppe noch keine Normen etabliert hat, das Thema sehr kritisch und die technische Infrastruktur wenig ausgereift ist, eignet sich eher ein Präsenztreffen. Für den virtuellen Raum kann vorab explizit ein Verhaltenskodex erarbeitet werden. "In virtuellen Workshops planen wir neben einem sorgfältigen Intro über die Erwartungen an die virtuelle Zusammenarbeit auch über den Tag verteilte Stimmungs-Checks. Emotionen bekommen so ihren Raum, gerade wenn Frust oder Ärger bereits unsichtbar wachsen. Bei Themen mit starken zwischenmenschlichen Spannungen bleiben wir wenn möglich bei persönlichen Begegnungen."
  4. Verständigung
    Das Sicherstellen von wirksamem Senden und Empfangen von Nachrichten zum Wissensaustausch ist eine wichtige Voraussetzung für Vertrauen und Performance. Im virtuellen Raum zahlen regelmäßige Zwischenresonanzen auf die Verständnisqualität ein, die im Präsenzmeeting durch die ganzheitliche Wahrnehmung der Gruppenteilnehmer und -stimmung automatischer gegeben ist. "In Trainingssequenzen investieren wir virtuell deutlich mehr Zeit in Gruppengespräche, um das Gehörte zu verarbeiten. In kurzen Rückmeldungen können wir sehen, ob die Inhalte klar geworden und anwendbar sind. Unsere Faustregel: nach etwa 15 Minuten Impuls folgt eine interaktive Einheit."


Unser Resumé:
Eine sorgfältige Analyse der Gegebenheiten (Schritt 1) verschafft Sicherheit in der Entscheidung und hilft auch bei der Argumentation, wieso ein Treffen virtuell oder physisch stattfinden soll. Gerade im virtuellen Raum zahlt ein offenes Gespräch über die Aspekte des sozialen Miteinander (Schritt 2) in eine deutlich offeneres Klima ein, da der Fokus meist zu sehr auf der inhaltlichen Bearbeitung von Themen steht.

Der Mut, ungewohnte Themen anzusprechen und die Neugierde, Erlebnisse mit diesen beiden Schritten auszuwerten machen sich durch eine neue Qualität der verschränkten, digi-präsenten Zusammenarbeit bezahlt!

Literatur:

Altebarmakian, M., & Alterman, R. (2019). Cohesion in online environments. International Journal of Computer-Supported Collaborative Learning, 14(4), 443-465.

Driskell, J. E., Radtke, P. H., & Salas, E. (2003). Virtual teams: Effects of technological mediation on team performance. Group Dynamics: Theory, Research, and Practice, 7(4), 297.

Matthiesen, K., Spengler, J. (2020). Verständigung mit Nicht-Anwesenden. Was leisten digitale Formate? Organisationsentwicklung, 2, 31-35.

Nissen, V., & Seifert, H. (2016). Virtualisierung in der Unternehmensberatung. Eine Studie im deutschen Beratungsmarkt. BDU, Bonn.

Zepke, G., & Walenta, C. (2016). Social Competence-Affektdynamiken und Lernprozesse in einem virtuellen Organisationslabor.

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