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25. März 25

Strategischer Mehrwert auf allen Ebenen!

Zur Rolle von Bereichsebenen in Mehrgeschäftsunternehmen

Aktuell haben wir mit drei auf den ersten Blick recht unterschiedlichen Organisationen zu tun: Einem großen Bereich innerhalb eines Forschungszentrums, einem Geschäftsfeld in einem IT-Unternehmen und mehreren Medizinbereichen in einem Universitätskrankenhaus. Was haben diese sehr unterschiedlichen Organisationen gemeinsam? Die jeweiligen Bereichsorganisationen sind Teil einer großen Expert*innenorganisation und jeweils verantwortlich für ein heterogenes Portfolio an Dienstleistungen oder Produkten. Die einzelnen Bereiche vereinen verschiedene, oft sehr unterschiedliche Geschäftszweige (seien es Institute, Businessunits oder Kliniken) unter einem (Bereichs-)Dach, wodurch sich eine wesentliche Frage aufdrängt: Kann ein übergeordneter Bereich einen Mehrwert schaffen, anstatt nur Kosten zu verursachen? Und wenn ja, wie?

Kernparadoxie der Bereichsorganisation: Teil und Ganzes

Grund für die Etablierung einer Bereichsebene ist in vielen Organisationen – so auch in den drei genannten Beispielen – eine strukturelle Überlegung: Aufgrund von Wachstum oder Komplexität ist eine sehr große Anzahl von Teilorganisationen entstanden, die nicht mehr vom Vorstand führbar ist. Diese Teilorganisationen – Produkteinheiten, Kliniken oder Institute – werden deshalb Bereichsleitungen unterstellt. So kann die Führungsspanne reduziert und der Vorstand entlastet werden. An dieses Vorgehen ist in aller Regel auch die Erwartung des Vorstands geknüpft, dass die Bereichsleitungen die Interessen des Gesamtunternehmens verfolgen und die übergeordneten Ziele entsprechend "herunterbrechen". Formulierungen wie "es geht ja letztlich um das Gesamtunternehmen" lassen ein zweckrationales Organisations- und Steuerungsverständnis erahnen, das die Polarität von Teil und Ganzes tendenziell einseitig zugunsten der Homogenität des Ganzen und zulasten der Heterogenität der Einheiten akzentuiert.

Enttäuschte Erwartungen an die Bereiche werden offensichtlich, wenn sie von der übergeordneten Ebene als "Lehmschicht" oder von untergeordneten Einheiten wie Kliniken oder Abteilungen als "Overhead" oder "Kostenfaktor" wahrgenommen werden. In Expert*innenorganisationen wird unter Umständen die Situation noch dadurch verschärft, dass die Bereichsebene über weniger fachliche Expertise bezüglich der individuellen Geschäfte verfügt und ihr Mehrwert aus Sicht der lokalen Expert*innen fragwürdiger ist.

Positiver Mehrwert oder Wertverlust?

Stellvertretend für die drei zuvor genannten Beispiele stellt sich etwa für einen Medizinbereich mit mehreren Kliniken die Frage, ob über die Summe der Aktivitäten der einzelnen Kliniken hinaus ein Bereichsmehrwert entstehen kann – und wenn ja, wie das gelingen kann. Anders ausgedrückt: kann – und wenn ja wie - eine Bereichsebene aus 1 + 1 mehr als zwei machen und über die Summe der Einzelaktivitäten hinaus einen Mehrwert generieren?

Leider ist die Situation in vielen Unternehmen eher ernüchternd: Schon auf der Gesamtunternehmensebene weisen empirische Studien bei der Mehrzahl diversifizierter Unternehmen einen Discount, also einen negativen Mehrwert auf. Durch die Zugehörigkeit zum Unternehmen wird Wert eher vernichtet, als dass damit ein Zusatzwert erzielt wird. Dies kann verschiedene Ursachen haben: Einerseits sind vielleicht schlichtweg keine Synergien zwischen den einzelnen Organisationseinheiten möglich (die Schnittmenge zwischen einer Frauenklinik und einer Urologie ist begrenzt). Andererseits können eine unklare oder ineffektive Steuerung die operativen Einheiten mehr behindern als unterstützen. Darüber hinaus ist womöglich gar nicht klar, worin der strategische Mehrwert eines Bereichs eigentlich bestehen soll (Müller-Stewens & Brauer, 2021).

Formen der Wertsteigerung

Wie kann ein Bereich nun einen strategischen Mehrwert schaffen? Folgende vier Wertsteigerungshebel können die strategische Weiterentwicklung inspirieren (Collis et al., 1999):

  1. Bereiche können Leistungen bündeln, die ansonsten in jeder einzelnen Einheit separat erbracht werden müssen und so Effizienz- oder Größenvorteile und/oder Effektivitäts- oder Spezialisierungsvorteile generieren. Voraussetzung ist allerdings, dass der Bereich entsprechende Fähigkeiten hat oder entwickelt, die über jene der operativen Einheit hinausgehen. Gerade in Expert*innenorganisationen kann es so zur paradoxen Situation kommen, dass weniger spezialisierte Akteur*innen in bestimmten Kontexten bessere Entscheidungen treffen (beating-the-specialist-Paradox).
  2. Durch das Etablieren gemeinsamer Standards kann der Bereich bei der Realisierung von Synergien zwischen den operativen Einheiten helfen oder die Zusammenarbeit zwischen den Einheiten fördern. So kann der Bereich etwa Kliniken bei der Bildung von Zentren unterstützen. Untersuchungen zeigen, dass diese Form der Wertsteigerung besonders anspruchsvoll ist, weil das Setzen von Standards oder die Realisierung von Synergien nicht nur erhebliche Expertise voraussetzt, sondern auch Eingriffe in die Autonomie verlangt.
  3. Die Bereichsebene kann die Leistungsfähigkeit der Einheiten verbessern, indem sie diese z.B. bei der Entwicklung geeigneter Strategien oder bei der Auswahl und Entwicklung der oberen Führungskräfte der operativen Einheiten unterstützt – vorausgesetzt der Bereich verfügt über die entsprechenden Fähigkeiten, um diese Verbesserungen voranzutreiben.
  4. Die Weiterentwicklung des Bereichsportfolios kann durch den Aufbau neuer Geschäftsaktivitäten oder die Zusammenlegung von Aktivitäten einzelner operativer Einheiten gefördert werden. Derlei Wertsteigerungsaktivitäten seitens der Bereichsebene führen allerdings wiederum zu Spannungen in der Polarität von Stabilität und Veränderung.

Autonomie oder Heteronomie? – Befähigen oder Kontrollieren?

Die vier Denkrichtungen oder strategischen Hebel einer möglichen Mehrwertentwicklung reflektieren gleichzeitig die Widersprüchlichkeit der strategischen Rolle der Bereiche. Geht der Bereich über die reine Briefbotenrolle der Informationsüberbringung (top-down und bottom-up) hinaus in eine aktive Rolle, zeigen sich zwei Spannungsfelder: Erstens können die Steuerungsimpulse als hilfreiche Unterstützung oder als störender Eingriff in die Autonomie der Einheiten erlebt werden (Autonomie und Heteronomie). Zweitens stellt sich bei den meisten Wertsteigerungsansätzen die Frage nach der Fähigkeit zur wirksamen Unterstützung der Einheiten durch die Bereichsebene, wenn die Expertise in den Einheiten oder Abteilungen wie z.B. den Kliniken sitzt. Worin kann dann der Mehrwert der Leistungsbündelung oder der spezifischen Expertise liegen? Welche Verbesserungen ergeben sich daraus?

Offener strategischer Dialog als Utopie?

Ein erfolgreicher Bereich zeichnet sich nicht dadurch aus, dass er alle Geschäfte zentral steuert, sondern dass ein Mehrwert in einer Co-Kreation entsteht. Innovation, Effizienz und Mehrwert entwickeln sich häufig zwischen Einheiten und im offenen Dialog über den Mehrwert eines Sowohl-als-auch. Wenn die beteiligten Ebenen verstehen, welche Rolle das Ganze für die einzelnen Teile spielt – und umgekehrt – kann dialektisch Mehrwert und eine zukunftsweisende Strategie entstehen.

Gerade für Expert*innenorganisationen, in denen Spezialist*innen über umfangreiche, aber oft stark fokussierte Kenntnisse innerhalb ihres Fachgebiets verfügen, kann die Bereichsebene Mehrwert stiften. Sie kann beispielsweise Sorge tragen, dass der Kontext wie etwa Nutzer*innenperspektiven Berücksichtigung findet. Spitzenleistungen hängen aber auch davon ab, dass in komplexen, unerwarteten oder interdisziplinären Situationen entsprechende Adaptionsfähigkeiten vorhanden sind – auch hier kann eine Bereichsperspektive unterstützend wirken.

Letztlich entscheidet nicht die Existenz des Bereichs über den Mehrwert, sondern die Fähigkeit Kontrolle und Vertrauen, Autonomie und Heteronomie dialektisch zu nutzen. Die kollektive Fähigkeit zur gezielten co-kreativen Nutzung solcher Widersprüche wird auf Bereichsebene zunehmend wichtiger und stellt besondere Anforderungen an diese Führungsrolle. Wie die drei Beratungsbeispiele zeigen, bietet die Neugestaltung solcher Bereichsebenen die Möglichkeit die organisationalen Rollen-, Macht- und Interessenlagen zu überdenken, im vertrauensvollen Dialog die Frage des Mehrwerts offen zu adressieren und geeignete strategische Ausrichtungen zu entwickeln (Schumacher & Roehl, 2024).

Literatur

Collis, D. J., Montgomery, C. A., Campbell, A., Goold, M., Prahalad, C., & Lieberthal, K. (1999). Harvard Business Review on corporate strategy. Harvard Business Press.

Müller-Stewens, G. & Brauer, M. (2021). Corporate Strategy: Nachhaltige Wertsteigerung in diversifizierten Unternehmen. Schäffer-Poeschel.

Schumacher, T. & Roehl, H. (2024). Utopie Dialog? Zeitschrift OrganisationsEntwicklung, 43(1), 6-13.

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