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29. März 22

Robuste Handlungsfelder

Strategieprozesse sind auch in Zeiten kurzfristigerer Taktung in den Produktzyklen einiger Branchen und einer deutlich erhöhten Volatilität in den Märkten für die Zukunftssicherung von Unternehmen erfolgskritisch. Allerdings benötigen diese Prozesse eine zentrale, immer knapper werdende Ressource: Zeit.

Für einen etwas tiefer gehende Strategieentwicklungs- oder Strategiereview-Prozess bei laufendem Motor muss man trotz hoher Fokussierung und unter Bedingungen agiler Arbeitsweisen mit einem Zeitraum von 5-8 Monaten rechnen. In ungewissen Themen schnell voranzukommen, ist aber ein unbedingtes Erfordernis unserer Zeit – man würde wertvolle Zeit verlieren, wenn man sie einfach liegen ließe, bis die Ergebnisse der Grundstrategie vorlägen, um dann anschließend in die Umsetzung zu gehen. An drei Beispielen wollen wir zeigen, wie man durch die Etablierung "robuster Handlungsfelder" eine deutliche Beschleunigung des Gesamtprozesses erreichen kann. Parallel zur beginnenden Strategiearbeit werden dabei Themen der Organisationsentwicklung, die unumgänglich erscheinen, sofort auf den Weg gebracht.

In den letzten Jahren haben wir gelernt, am Anfang eines Strategie- oder Review-Prozesses diejenigen Themen zu identifizieren, die mit großer Wahrscheinlichkeit unabhängig von bestimmten strategischen Optionen für die Zukunftssicherung eine Rolle spielen werden, und vorangetrieben werden müssen. Wir sprechen dann von "robusten Handlungsfeldern" und meinen damit, dass diese Themen auch unterschiedlichen strategischen Anforderungen standhalten und aller Voraussicht nach für unterschiedliche strategische Optionen relevant sein werden.

Bei einem IT-Dienstleister beispielsweise, der in einem Strategiereview-Prozess seine  Neupositionierung im sich rasant entwickelnden Umfeld überprüfen wollte, war von Anfang an klar, dass zwei Organisationsthemen mit höchster Wahrscheinlichkeit zukunftskritisch sein würden: Die Verbesserung der Fähigkeit für Innovation im Sinne der organisationalen Handhabung der Ambidextrie (das bestehende Geschäft betreiben und mit gleicher Energie neue Geschäftsfelder entwickeln) sowie eine Ausdifferenzierung des Fach- und Führungskarrieremodells, um die heiß umkämpften Fachkräfte besser gewinnen und halten zu können.

Als Konsequenz wurden gleich zu Beginn des Strategieprozesses zwei "Fokusgruppen“ eingesetzt, die sich parallel zum Strategieprozess der Entwicklung von Lösungen in den beiden Themenbereichen widmeten. Für die Besetzung dieser beiden Fokusgruppen wurden neben Mitgliedern des Leitungsteams als Projekt-Owner auch sofort zusätzliche Schlüsselspieler*innen aus der Organisation involviert. In den einzelnen Prozess-Schritten der Strategiearchitektur wurde der jeweilige Zwischenstand aus den robusten Handlungsfeldern abgeholt und Zwischenergebnisse gleich als zusätzliche Erkenntnisquelle genützt.

Am Ende des Spannungsbogens über 5 Monate konnten die beiden Themen bereits mit einem stark fortgeschrittenen Stand in die Formulierung der Gesamtstrategie aufgenommen werden und die Umsetzungsenergie konnte sich hinreichend auf andere Themen konzentrieren. 

In einem anderen Fall eines spezialisierten Unternehmens im Pharmabereich war klar, dass die Überlebensfähigkeit in jedem Fall von einem schnelleren Entwicklungszyklus von neuen Produkten abhängig sein würde und man einige als schwerfällig empfundene Prozessthemen in der Gesamtorganisation möglichst rasch lösen müsse, um eine höhere Handlungsfähigkeit zu erreichen. So wurden auch in diesem Strategieprozess, der wesentlich auf eine starke Positionierung mit einem geschärften Profil, reduziertem Produktportfolio und zusätzlichen Dienstleistungen in der Mitbewerberlandschaft ausgerichtet war, unmittelbar zu Beginn des Prozesses Interventionen gesetzt, um die beiden Themen voranzubringen.

Hinsichtlich der Beschleunigung der Produktentwicklung, die in dem stark regulierten Bereich ohnehin auch sehr von externen Bedingungen der Approbation abhängig war, wurde als "robustes Handlungsfeld" auf die Einführung eines agilen Projektmanagements, das auch in anderen Bereichen Verbesserungen bringen sollte, gesetzt. Die damit verknüpfte organisationale Lernkurve wurde auch gleich dahingehend genützt, dass der Strategieprozess selbst nach agilen Leitprinzipien gestaltet wurde.

Zur Adressierung der auffälligsten Prozessthemen in der Organisation wurde ein "Organisational-Improvement-Circle“ ins Leben gerufen. Dieser Kreis bestand aus 16 Schlüsselspieler*innen quer über die Hierarchieebenen und Funktionsbereiche hinweg, war mit eigenen Ressourcen und relativ hohen Entscheidungsbefugnissen ausgestattet und konnte Verbesserungsideen, welche das Zusammenspiel innerhalb der Organisation effektiver und effizienter machen könnte, unmittelbar in die Umsetzung bringen.

Beide Stoßrichtungen in diesen "robusten Handlungsfeldern" haben nicht nur unmittelbare  Bewegung der Organisation in die richtige Richtung erzeugt, sondern auch den Strategieprozess selbst stark befruchtet und unterstützt, da die ambitionierten strategischen Ziele am Ende durch die Vitalisierung der Organisation bereits eine neue Glaubwürdigkeit nach innen und nach außen erzeugte.

Auf letzteren Faktor soll noch ein drittes Beispiel besonders hinweisen. In einem produzierenden Unternehmen, das in seinem Strategieprozess vor allem seine globale Positionierung adressieren wollte, wurde als robustes Handlungsfeld unter anderem benannt, dass die internationale Kooperationsfähigkeit quer über die Funktionsbereiche hinweg verbessert werden müsste.

In diesem Fall hatte man den firmeninternen Werkzeugbau ausgewählt, um nicht nur eine unmittelbare Verbesserung in der überregionalen Kooperation zu erreichen (vor allem in der Weitergabe von Lösungswissen für regional teils unterschiedliche Ausgangssituationen hinsichtlich der Werkstoffe), sondern vor allem auch exemplarisch zu lernen, wie in der spezifischen Firmenkultur eine verbesserte internationale Kooperation etabliert und unter den Bedingungen des Virtualisierungs-Schubes der letzten Zeit erfolgreich gemacht werden könnte. Der ergänzende Einsatz von Management-Attention hat sich gelohnt.

Tatsächlich konnte am Ende in der Beschreibung der Gesamtstrategie und der daraus resultierenden Oragnisationsentwicklungsziele bereits auf das Good Practice im Bereich des Werkzeugbau verwiesen werden.

Insgesamt zeigt sich, dass sich die Etablierung solcher "robuster Handungsfelder" lohnen kann. Nur in sehr seltenen Fällen hat die Strategientwicklung eine derart radikal andere Wendung genommen, dass die Befassung mit einem Thema, das am Beginn "robust" erschien, obsolet geworden war. 

Welche Erfahrungen haben sie mit solchen zentralen Themenfeldern in Strategieprozessen?

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