07. Juli 20
New Work - Coronakrise als Katalysator für das Verändern der Arbeitswelt
Corona zeigt uns, dass "Arbeit" auch anders aussehen kann. "Endlich!" - sagen einige ... "Hoffentlich ist das bald vorbei!" - andere. Egal, wer wie dazu steht: Vieles funktioniert, was zuvor nicht für möglich gehalten oder aus vielerlei Gründen strikt abgelehnt wurde; etliches klappt erst nach großen Anlaufschwierigkeiten; manches war und bleibt schwierig.
Die Corona-Krise ermöglicht - ungebeten - ungeahnte Erfahrungen mit New Work
Viele Organisationen machen derzeit Erfahrungen mit neuen Arbeitsformen, die sie sich normalerweise nicht zumuten würden oder in diesem Umfang nur schwer durchsetzbar gewesen wären. Corona bringt uns teilweise in einen New-Work-Modus - manchmal bewusst - manchmal unbewusst.
Was unter New Work verstanden werden kann, welche Ausprägung New Work haben kann und welche Herausforderungen im Zusammenhang mit New Work zu meistern sind, beschreibt die New-Work-Landkarte der osb-i. Sie eignet sich gerade jetzt als Instrument zur Reflexion und Standortbestimmung: Wo stehen wir auf unserer New-Work-Reise? Was ist für uns relevant? Was wollen wir bewahren? Was wollen wir vorsichtig weiterentwickeln oder mit viel Energie vorantreiben?
Der Ausbruch der Corona-Pandemie hat in manchen Organisationen eine solche New-Work-Reise angestoßen - in anderen die Reisegeschwindigkeit erhöht. Je nach Intensität der Reiseerfahrung und des Interesses am Neuen können viele Impulse auch weit über das unmittelbar erforderliche Gestalten des corona-bedingten "New Normal" hinausgehen. Denn für Organisationen geht es nicht nur um das Verändern von Arbeitsformen, sondern ebenso sehr um das Bewältigen der durch die Pandemie ausgelösten Herausforderungen und wirtschaftlichen Auswirkungen - es geht um Zukunftsfähigkeit und oft um die Existenz.
Für eine Bestandsaufnahme im Sinne einer Reflexion der unmittelbaren Vergangenheit hat das Virus etlichen Organisationen bereits hinreichend viele (Reise-)erfahrungen ermöglicht:
- Viele Mitarbeitende werden kurzerhand ins Homeoffice geschickt.
- Führungskräfte verzichten auf gewohnte Kontrollmöglichkeiten.
- Meetings werden virtuell durchgeführt.
- Die Koordination zwischen Mitarbeitenden bzw. in Arbeitsgruppen findet selbstorganisiert statt.
- Entscheidungen werden schneller und mit weniger Rückkopplungen getroffen.
- ...
Die Corona-Krise schafft mehr Raum für Selbstverantwortung und -organisation
Diejenigen, die schon länger für eine umfassendere Veränderung der Arbeitswelt Richtung Selbstverantwortung bzw. -organisation plädiert haben, werden sich nun bestätigt fühlen: "Es geht doch! Und wenn wir uns schon früher in diese Richtung entwickelt hätten, wären wir viel besser gerüstet gewesen." Die Skeptiker haben auch Argumente: "Es lief doch vorher ganz gut. Wir wissen schließlich nicht, ob es anders besser gewesen wäre." Stimmt auch. Denn es bestand scheinbar keine Notwendigkeit für Veränderung. Vorausschauende Selbsterneuerung wäre zwar sinnvoll, ist jedoch gleichzeitig die wohl anspruchsvollste Form der Bewegung Richtung Zukunft.
Weiß man jetzt sicher, was besser ist? Nein. Diese Streitfrage wird nicht durch eine Krisenerfahrung gelöst. Gefahr lauert auf beiden Seiten: Diejenigen, die es scheinbar schon vorher wussten, könnten sich auf das Positive fokussieren, weiter in diese Richtung drängen und dabei womöglich die Organisation mit ihrer schnellen Gangart überfordern. Andere könnten auf die grundlegenden Schwierigkeiten und die besondere Ausnahmesituation verweisen und vom Krisenmodus gleich wieder auf den weitestgehend unveränderten, vorherigen Normalmodus zurückschalten wollen. Das kann zu Frust führen und die bei vielen entstandene Energie verpuffen lassen - insbesondere bei denen, die sich über größere Verantwortung und neue Freiheiten gefreut haben und damit auch erfolgreich waren.
Tiefgreifende Veränderung vollzieht sich durch deutlich veränderte Rahmenbedingungen
Blicken wir einmal durch die Veränderungsbrille: Wodurch war es eigentlich möglich, "anders" zu arbeiten? Ganz einfach: Der Kontext hat sich ungewollt und ohne unser Zutun drastisch verändert. Darauf mussten Organisationen sofort reagieren, um kurzfristig handlungsfähig zu bleiben. Andere Arbeitsformen und -strukturen konnten sich so mit dem Rückenwind der Krise etablieren.
Folgt man dieser Logik, dann schließt sich das Zeitfenster für "Experimentierräume" Zug um Zug, sobald die Rahmenbedingungen sich wieder Richtung "alter Normalität" entwickeln. Denn die Corona-Situation ist - anders als viele bewusst initiierte Veränderungsprojekte - kein räumlich und absehbar zeitlich begrenztes und gesteuertes Lernexperiment. Sie ist "Leben und Arbeiten live" und daher auch nicht von vorneherein mit einer Auswertungslogik hinterlegt.
Die Corona-Krise als Lernerfahrung nutzen
Die Corona-Situation ist ein plakatives Beispiel dafür, wie rasch sich tiefgreifender Wandel unter veränderten Kontext-Bedingungen vollzieht. Gerade deshalb ist es interessant zu beobachten, ob und wie Organisationen diese Erfahrungen konstruktiv für das Gestalten zukünftiger Arbeitsformen nutzen. Dafür müssen sie sich jedoch - anders als beim Bewältigen der Krisensituation - ganz bewusst entscheiden und sich in eine lernende Haltung begeben.
Die prinzipiellen Voraussetzungen dafür sind gut. Organisationen können auf ihre speziellen und unmittelbaren Krisen-Erfahrungen direkt und gezielt zurückgreifen: Es gibt nun konkrete Referenzpunkte im eigenen Haus, denn es war bzw. ist z.B. möglich, ...
- die Chancen veränderter Arbeitsformen kennenzulernen;
- schlummernde Potenziale zu heben;
- die Überforderung von Menschen und Strukturen zu beobachten;
- den Frust begrenzender Rahmenbedingungen zu spüren;
- Risiken veränderter Arbeitsrealitäten zu erleben;
- die Bereitschaft und Fähigkeit einzuschätzen, mit Ungewissheit umzugehen.
Als Führungssystem organisationale Rahmenbedingungen anpassen und damit veränderte Arbeitsformen etablieren
Das gemeinsame Reflektieren der Erfahrungen kostet allerdings Zeit und Energie ... eine echte und aus unserer Sicht sehr lohnende Investition. Denn wäre es nicht jammerschade, aus einer solch existenziellen Erfahrung nichts für die Zukunft zu lernen?
Ein durch die Corona-Pandemie zugemuteter Kontext kann die Arbeitsformen in Organisationen "ungebeten" verändern. Und jede Organisation kann nun im Nachgang oder bereits mitlaufend selbst Einfluss darauf nehmen, welche (alten) strukturellen Rahmenbedingungen sie bewusst verändert, um positiv bewertete "Corona-Effekte" in die Zeit nach der Krise mitzunehmen. Sie kann sinnvollere und zukunftsfähige Normen etablieren - auf Basis gemeinsam vom Führungssystem getragener Entscheidungen.
Die osb-i-New-Work-Landkarte bietet Orientierung für Reflexion und Entscheidung
Unsere New-Work-Landkarte liefert genau die richtigen Perspektiven, um die zentralen Fragen zur Veränderung von Arbeitsformen zu reflektieren, zu diskutieren und zu entscheiden. Dafür bietet die Landkarte sechs relevante Themenfelder an - die New-Work-Kontinente, die wir hier mit ein paar ausgewählten Fragen hinterlegen:
Kollaboration
- Wie sorgen wir dafür, dass wir mit Überraschungen und komplexen Situationen gut umgehen können?
- Wie unterstützen wir das Entstehen funktionierender Netz(werk)e, die in schwierigen Situationen schnell unterschiedliche Perspektiven verbinden?
- Wie fördern wir eine positive Fehlerkultur, die zu verantwortlichem "experimentellem" Handeln und Lernen animiert?
- Welche Dienstwege sind überflüssig und welche Kollaborationsformen effektiv und effizient?
Führung
- Welche Mechanismen fördern die kollektive Achtsamkeit, (Selbst-)beobachtung sowie Reflexion?
- Wie sorgen wir für eine ausreichende Orientierung anhand übergeordneter Ziele, um jederzeit im Sinne des Ganzen verantwortungsvoll handeln zu können?
- Welche Entscheidungsverfahren sind dysfunktional und welche Alternativen sinnvoll?
Selbstorganisation
- Wie gestalten wir Entscheidungsprozesse, die nicht immer nur auf einzelne Führungskräfte fixiert sind, denn schließlich übersteigen Komplexität und Transformationsgeschwindigkeit zusehends die Kompetenzen einzelner Personen?
- Wie organisieren wir Strukturen, Prozesse und Rollen so, dass sie Halt geben und bei Bedarf durch explizite Kontrakte schnell und situativ angepasst werden können?
- Wie viel (Arbeitszeit-)Kontrolle ist sinnvoll?
Kommunikation
- Wie sichern wir Meinungs- und Informationsfreiheit, um zu verhindern, dass Machtinteressen die problemfokussierte Entscheidungsfindung überlagern?
- Wie schaffen wir einen geeigneten Rahmen, Meinungen und Informationen kollektiv zu verarbeiten und zu gemeinsam getragenen Entscheidungen zu kommen?
- Wann ist welcher Kontext für den Austausch erforderlich - wie viel Virtualität ist wann noch sinnvoll?
Individualität
- Wie sorgen wir für sinnvolle und Autonomie fördernde Möglichkeiten der Partizipation?
- Wie gestalten wir ein vertrauensvolles Umfeld, das die Mitarbeitenden ermuntert, ihre Meinung zu äußern, Ideen zu entwickeln und einzubringen, ohne damit Risiken einzugehen?
- Wie gestalten wir die Arbeitsrealität so flexibel, dass Menschen in normalen und schwierigen Situationen unterschiedliche Lebensfacetten integrieren bzw. ausbalancieren können?
Räume
- Wie verbinden wir physische und digitale Arbeitsräume, um spontan eine effiziente, dynamische und ortsunabhängige Kollaboration zu ermöglichen?
- Wie sichern wir die erforderlichen IT-Funktionalitäten für alle Kern-, Kommunikations- und Entscheidungsprozesse?
- Wie sorgen wir für gut zu bedienende Tools und die Fitness der Benutzer - unabhängig von digitaler Affinität und technischem Know-how.
Beim Bereisen der sechs Kontinente und Erkunden bzw. Vertiefen verschiedener Aspekte können "bewahrenswerte" corona-bedingte und "zukunftsträchtige" corona-unabhängige Veränderungen der Arbeitsformen beleuchtet werden. Ein weiterer Schritt in Richtung New Work - nun allerdings freiwillig und selbst entschieden.