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10. April 25

Machtspiele im Wandel: Wer gewinnt, wenn sich alles ändert?

Warum Veränderung ohne Machtverständnis scheitert – und wie Organisationen klug damit umgehen können

"Nein, das weise ich von mir. Mit Macht habe ich nichts am Hut, ich finde das auch ganz schlimm über Macht zu führen. Nein, das mache ich nicht!"

Entrüstet schaut mich ein Teilnehmer eines Führungskräfteseminars an, fast so als hätte ich ihn gerade persönlich angegriffen. Das M-Wort löst bei vielen Menschen, insbesondere Personen in Führungspersonen auch heute noch sehr vielfältige Reaktionen aus. Macht ist dabei nicht selten etwas Anrüchiges, Schlimmes.

Ein Grund dafür mag sein, dass Macht – insbesondere im deutschsprachigen Raum – vielfach erst einmal negative Bilder evoziert: Machtmissbrauch und -ergreifung, Machtversessenheit, Ohnmacht und alles, was noch dazu gehört, z.B. Egoismus oder Demütigung. Dabei ist Macht per se weder gut noch schlecht, sondern in erster Linie Ausdruck vitaler Gestaltungsinteressen sowie der Lebendigkeit in Organisationen. Praktisch erleben Führungskräfte dann auch, wie sie sich im Spiel der Macht mal durchsetzen und mal den Kürzeren ziehen. Wie sie selbst Einfluss ausüben und wie es andere tun.

Sie merken: Dem Phänomen Macht können gerade sie als Führungskräfte nicht entkommen. Das ist insofern nicht verwunderlich, wenn man der Überlegung folgt, dass Führung ein soziales Unterfangen ist. Führungseinfluss entfaltet sich zwischen Führendem und Geführten und es ist damit originär ein soziales Konzept (Haas, Kozica, 2023, S. 2).

Etymologisch basiert der Begriff Macht auf dem germanischen Verb mögen im Sinne von etwas zu vermögen. Machtbewusstes Handeln hat daher weniger mit "Machen", als mit "Können" zu tun. Macht zu haben bedeutet in diesem Sinne über das Vermögen zum Handeln zu verfügen. Folglich ist Machtkompetenz ein Teilaspekt von Sozialkompetenz.

Auf Organisationen bezogen, verdeutlicht Niklas Luhmann, dass "Macht (…) weniger eine Frage des Wollens als des Funktionierens ist. Organisationen operieren unter Bedingungen von Komplexität und Ungewissheit. Entscheidungen müssen getroffen und umgesetzt werden, auch wenn nicht alle Beteiligten einverstanden sind. Macht ermöglicht, diese Unsicherheiten zu reduzieren, indem sie Erwartungen strukturiert und Handlungen koordiniert. Sie schafft die Voraussetzung, dass Entscheidungen auch gegen Widerstände durchgesetzt werden können." (Luhmann, 2012).

Fakt ist: Macht ist ein wirkmächtiges Werkzeug. Wie bei einem Hammer hängt ihre Wirkung aber in erster Linie vom Gebrauch ab, d.h. erst dieser macht sie gut oder schlecht. Wird Macht tabuisiert, entfaltet sie ihre untergründige destruktive Wirkung. Entsprechend relevant ist es, sich mit dem Phänomen "Macht" zu beschäftigen – insbesondere bei Veränderungen in Organisationen.

Veränderungsvorhaben in Organisationen greifen in der Regel in bestehenden Machtkonstellationen ein und verändern die Verteilung von Macht. Allein schon deswegen, weil sich Ressourcen in Veränderungsprozessen verschieben (und Ressourcen eine Voraussetzung für Macht in sozialen Beziehungen ist).

Bilden sich Führungskräfte im Change-Management weiter, diskutieren sie häufig, wie man mit "Widerstand" in Veränderungsprozessen gegen den Change argumentieren. Das Verhalten, das als Widerstand bezeichnet wird, kann verschiedene Ursachen haben (wie bspw. Ängste und andere Emotionen, abweichende Vorstellung von der Richtung des Wandels, persönliche Aversionen zu den Vertretern des Changes). Widerstand, verstanden als eine relevante Informationsquelle, bei Veränderungsvorhaben der Organisation ist dabei eng mit Machtfragen verbunden: Wer schafft es am Ende, sich durchzusetzen? Wer kann im Change-Vorhaben seine Perspektiven und Interessen zur Geltung bringen? Und wie wird sich Macht nach der Veränderung darstellen? Diese Fragen werden sich in Organisationen, die sich permanent an dynamische Umwelten anpassen, immer wieder stellen.

Wenn es demnach darum geht, tiefgreifende, transformatorische Veränderungen zu gestalten, ist es für Führungskräfte besonders relevant, ihren Spürsinn für Machtdynamiken in Organisationen zu entwickeln. Gerade bei Veränderungsarbeit wird meist sehr schnell deutlich, dass die vermeintlich "Mächtigen" (Inhaberinnen, Geschäftsführung, Vorstände) nur die Vorderbühne, also den offiziell sichtbaren Teil der Machtmedaille abbilden. Lang in der Organisation tätige Mitarbeitende, Meinungsmultiplikatoren, "Untergrundkämpfer" oder der vermeintlich kooperative Betriebsrat sind mindestens genauso mächtige Akteur*innen auf dem großen Spielfeld des Wandels, die es zu berücksichtigen gilt (Haas et al., 2022, S. 61–64).

Widerstand zeigt sich, wenn die Organisationsmitglieder offen oder verdeckt gegen den Change opponieren, beispielsweise indem sie zu relevanten Besprechungen gar nicht erst erscheinen, Vorhaben nicht umsetzen oder gegen den Change argumentieren. Das Verhalten kann verschiedene Ursachen haben (wie bspw. Ängste und andere Emotionen, abweichende Vorstellung von der Richtung des Wandels, persönliche Aversionen zu den Vertretern des Changes). Widerstand, verstanden als eine relevante Informationsquelle im Change, ist dabei eng mit Machtfragen verbunden: Wer schafft es sich am Ende durchzusetzen? Wer kann im Change-Vorhaben seine Perspektiven und Interessen zur Geltung bringen? Und wie wird sich Macht nach der Veränderung darstellen? Diese Fragen werden sich in Organisationen, die sich permanent an dynamische Umwelten anpassen, immer wieder stellen.

Was heißt all das für Führung von Wandel? Von Führungskräften wird heute mitarbeiterorientierte, dialogische, ja gar "dienende" Führungsleistung erwartet. Dabei entstehen neue Rollen wie Coach, Mentor oder Begleiter. Bezogen auf Macht bedeutet dies, dass Führungsrollen mit Macht ausgestattet werden wollen, um wirksam zu werden und in ihrer Gesamtheit die Organisation mit Führungsleistung auszustatten. Allerdings hat sich die Vorstellung von der Führungsrolle in den letzten Jahren zunehmend verändert. Mit dem Aufkommen flacher, dezentraler Wertschöpfungsnetzwerke auf dynamischere Märkte wird die traditionelle Rollen-Macht flüchtiger. Macht ist nicht mehr automatisch "oben". Kunden, Spezialisten, Marktführer sind machtvolle Akteure, auch weil es über digitale Medien heute noch einfacher ist Macht aufzubauen oder in kürzester Zeit zu zerstören. Transparenz macht Mächtige verletzlich: Täuschungsversuche in der Automobilindustrie, ein Lachen bei einer Flutkatastrophe oder ein flapsiger Spruch auf der Betriebsversammlung. Macht ist heute noch viel stärker eine fragile und flüchtige Ressource, die nicht mehr in dunklen Hinterzimmern von Wenigen untereinander ausgehandelt, sondern vor unser aller Augen immer wieder neu verhandelt wird.

Weil Macht nicht mehr automatisch "oben" ist, ist gerade in Veränderungsprozessen ein gut ausgeprägter Spürsinn für nützliche Macht eine entscheidende Kernkompetenz. Dabei sollte die erste Lektion sein, dass Rollen-Macht immer nur geliehene Macht ist und denkbar wenig mit der Person dahinter zu hat. Martin Spilker und Heiko Roehl glauben daher, dass alldiejenigen bei diesem Spiel schlechte Karten haben, die glauben, dass sie beim Machtverleih selbst als Personen gemeint sind, dass sie als Menschen mächtig sind, nicht als temporär mit einer verantwortungsvollen Rolle Betraute (Spilker und Roehl, 2014). Der ehemals erfolgreiche Bundesliga-Spieler, die Pop-Sängerin aus den 80er-Jahren, der Bundesminister aD, sie alle haben davon getrunken, dem süßen Gift der Macht.

Zusammenfassend lässt der Blick auf die Veränderungen der Führungsrollen und auf die Transformationen in Organisationen erkennen, dass Machtzentren in Organisationen nicht statisch sind, sondern sie einer dauerhaften Dynamik unterliegt. Daher ist ein Spürsinn für Machtdynamiken und sich ändernde Machtkonstellationen eine zentrale Kompetenz von Führungskräften.

Literatur

Haas, Oliver; North, Klaus; Pakleppa, Claus-Bernhard (2022): Transformation. Tiefgreifende Veränderungen verstehen, ermöglichen und gestalten. 1st ed. München: Franz Vahlen.

Haas, Oliver; Kozica, Arjan (2023): "So machen wir das hier – Macht und Führung in Organisationen". Liz Mohn Center gGmbH. Gütersloh.

Luhmann, Niklas (2012): Macht. 4. Auflage. UTB. Stuttgart.

Spilker, Martin; Roehl, Heiko (2014): Macht macht nichts? Im Gegenteil… Hg. v. Bertelsmann Stiftung.

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