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25. März 25

Irrgarten Nachhaltigkeitsstrategie

Wer sich mit Nachhaltigkeitsstrategien beschäftigt, gerät sehr schnell in einen schier unüberschaubaren Irrgarten von Begrifflichkeiten, Rahmenmodellen, regulatorischen Anforderungen und Empfehlungen. Ohne Anspruch darauf, diesen Irrgarten bis in den letzten Winkel zu erkunden, möchten wir hier auf zwei wichtige Weggabelungen aufmerksam machen und folgende richtungsweisende Fragen näher erörtern:

Wie wirken sich die beiden grundlegenden Strategieverständnisse – "Strategie als Ziel"versus "Strategie als Weg" – auf die Bearbeitung des Nachhaltigkeitsthemas aus?

Ist eine Nachhaltigkeitsstrategie nur eine "Zusatzstrategie" neben der Geschäftsstrategie – oder kann bzw. muss man das anders sehen?

Ist die Nachhaltigkeitsstrategie der Weg oder das Ziel?

Wer Strategien entwickelt, kommt um die teils erbitterte Diskussion, ob eine Strategie nur den Weg zur Zielerreichung beschreibt oder auch das anzustrebende Ziel selbst umfasst, nicht herum. In klassischen militärischen Auseinandersetzungen musste nicht lange debattiert werden: "Besiege den Feind!" war als militärisches Ziel ein "No-Brainer". Die schwierigere Frage war, mit welcher Strategie das erreicht werden sollte. Die Ziele von Organisationen sind dagegen gestaltbar. Welche Produkte und Leistungen in welchen Märkten für welche Zielgruppen hergestellt und vermarktet werden sollen, ist eine Entscheidung über das inhaltliche Ziel der Organisation. Um nachhaltig erfolgreich zu sein, ist die Gestaltung der Wertschöpfungsprozesse auf dieses abzustimmen und notwendige Veränderungen umzusetzen. In der osb-i arbeiten wir daher seit langem mit einem Strategiebegriff, der beides umfasst: Die Festlegung von Organisationszielen UND die Gestaltung zentraler Initiativen zur Erreichung dieser Ziele, also des Wegs zum Ziel.

In der Debatte über Nachhaltigkeitsstrategien mit organisationsinternen Entscheider*innen ist eine begriffliche Unschärfe darüber, was mit Strategie überhaupt gemeint ist, fatal. Sehr schnell treffen hier Menschen aufeinander, die auf der einen Seite ganz grundsätzlich diskutieren wollen, wie sich die Organisation zum breiten Thema der Nachhaltigkeit aufstellen soll (Strategie als Ziel UND Weg), während andere nur klären wollen, wie regulatorische Vorgaben effizient und effektiv umgesetzt werden können (Strategie als Weg, das Ziel ist vorgegeben). Missverständnisse und viel zu oft auch gegenseitige Abwertungen sind hier vorprogrammiert.

Unsere Empfehlung lautet daher, mit einer ernsthaften Diskussion über die inhaltlichen Ziele zu starten. Was wollen wir langfristig im Feld der Nachhaltigkeit in den verschiedenen Dimensionen (von Klimawandel bis Kreislaufwirtschaft, von sozialer Gerechtigkeit bis zur betrieblichen Gesundheit, etc.) erreichen? Die Festlegung von konkreten Umsetzungsschritten ("Umsetzungsstrategien") erfordert danach immer noch zeitliche und inhaltliche Prioritätensetzungen. Diese Entscheidungen lassen sich aber auf Basis eines klaren inhaltlichen Ziels deutlich leichter treffen.

Ist eine Nachhaltigkeitsstrategie mehr als eine bloße "Zusatzstrategie" neben der Geschäftsstrategie?

Strategie ist – jedenfalls für die meisten – ein positiv aufgeladener Begriff. Was "strategisch" ist, klingt wichtiger als anderes. Projektleiter*innen machen aus ihrem Projekt ein "strategisches Projekt", Vertriebsmitarbeiter*innen setzen sich für ihre "strategischen Kund*innen" ein, Produktmanager*innen verantworten selbstverständlich "Produkte von strategischer Bedeutung". Die Verwendung von "Strategie" als schmückendes Beiwort auch für operative Themen vernebelt jedoch den Blick auf die Grundfunktion von Strategie. Schließlich handelt es sich dabei um Grundsatzentscheidungen, die auf Wettbewerbsvorteile und Zukunftsfitness abzielen und die im operativen Alltag schnellere Entscheidungen ermöglichen. Ist in der Strategie klar festgelegt, in welchen Märkten man agieren möchte und welche Produkte oder Leistungen den Kern des Portfolios ausmachen, kann über Anfragen, Investitionen, selbst über Bewerber*innen mit unterschiedlichen Profilen schneller und konsistenter entschieden werden.

Die Geschäftsstrategie beschreibt eben diese Grundsatzentscheidungen.[i] Die typischen Inhalte einer Nachhaltigkeitsstrategie dagegen umfassen direkte ökologische Ziele (Reduktion von Treibhausgas-Emissionen) ebenso wie soziale Elemente (Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion), mitarbeiter*innenorientierte und gesellschaftliche Ziele (soziale Verantwortung) oder auch ethische Lieferketten.

Betrachtet man diese Themen vorrangig als neue externe Rahmenbedingungen, liegt es nahe, eine Nachhaltigkeitsstrategie im Kern als Anleitung zum Umgang mit diesen Gegebenheiten zu interpretieren. "Wie erfüllen wir die gesetzlichen Rahmenbedingungen und stellen uns gegenüber unserem Umfeld positiv dar?" Manche Themen, z.B. die Lieferkettensorgfaltspflicht, sind auch tatsächlich gesetzlich vorgeschrieben, andere wie z.B. die Emissionsreduktion dienen eher der positiven Außendarstellung. Eine so verstandene Nachhaltigkeitsstrategie hat den Charakter eines Projektplans für ein Sonderthema, ohne die Geschäftsstrategie im Kern zu berühren.

Als Beispiel für diese Auslegung lässt sich die Nachhaltigkeitsstrategie von Microsoft anführen, die – jedenfalls hinsichtlich der klimarelevanten Themen – sehr ambitionierte Ziele umfasst.

Versteht man die Nachhaltigkeitsthematik jedoch als Anlass, das eigene Geschäft grundsätzlich zu überdenken, so ändert sich das Bild. Wenn das Unternehmen hinsichtlich der drei Kernrichtungen Effizienz (Verhältnis von Nutzen zu Aufwand, z.B. Materialeinsatzreduktion), Konsistenz (Vereinbarkeit von wirtschaftlichen und ökologischen Prozessen, Stichwort Kreislaufwirtschaft) und Suffizienz (Reduktion von Überkonsum seitens der Konsument*innen) überdacht wird, gelangt man möglicherweise zu dem Schluss, dass Produkte und Leistungen neugestaltet, verändert oder sogar eingestellt werden müssen. Nachhaltigkeit ist dann ein integraler Teil der Geschäftsstrategie, also ein Thema, das dort ebenso Eingang findet wie die Gestaltung der Kernwertschöpfungsprozesse (Entwicklung, Produktion, Vertrieb), Personalthemen oder IT.

Ein Beispiel für diese Richtung findet sich beim Sportbekleidungshersteller und Sportausrüster VAUDE.

Welche Richtung verfolgt Ihre Organisation?

 

[i] Für eine Zusammenstellung der Kerninhalte einer Geschäftsstrategie siehe Walter Dietl, Strategieentwicklung für Unternehmensfunktionen, Schäffer-Poeschel, Stuttgart, 2018, S. 13f.

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