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07. Oktober 21

„Ich werde hier gar nichts sagen!“ – Psychological Safety im Rahmen einer Konflikt-Moderation

Einstieg in einen zweitägigen Konfliktworkshop. Die Führungskraft hat ein paar einführende Worte gesagt: Seit Monaten steht das Team unter einem enormen Leistungsdruck. In letzter Zeit sind Spannungen immer spürbarer geworden. Es wird eher übereinander als miteinander geredet. Der Workshop soll dazu dienen, auf eine konstruktive Weise bisher Unausgesprochenes besprechbar zu machen. Als Moderatorin bitte ich die Teammitglieder, ihre eigenen Ziele für diese beiden Tage zu formulieren. Nach zwei eher vorsichtigen Beiträgen reagiert ein dritter Teilnehmer ziemlich schroff: "Ich werde hier gar nichts sagen!"

Eine solche Reaktion ist vermutlich für niemanden angenehm - weder für mich als Moderatorin noch für Sie, wenn Sie als Führungskraft ein schwieriges Teammeeting moderieren. Ein solcher Moment des "Widerstands" hat jedoch eine ganz entscheidende Bedeutung für den weiteren Verlauf des Gespräches. Er verweist auf ein tieferliegendes Thema: Die Frage der psychologischen Sicherheit.

"Psychological Safety" wird seit einigen Jahren im Zusammenhang mit der Frage diskutiert, wie Teams in sehr volatilen Kontexten herausragende Leistungen erbringen können (vgl. Sicherheit in unsicheren Zeiten. Führungsverantwortung Psychologische Sicherheit.)

Psychological Safety ist ein Gefühl von Sicherheit in Teams

Psychological Safety übersetzt man am besten mit "gefühlter Sicherheit". Gemeint ist damit, dass die Mitglieder eines Teams sich sicher genug fühlen, um zwischenmenschliche Risiken einzugehen: Bedenken zu äußern, noch unfertige Ideen vorzustellen, Fehler zuzugeben.

Ist Psychological Safety damit nur ein neues Buzzword für "Vertrauen"? Das wäre zu kurz gedacht. Wir sagen "ich vertraue jemandem" oder "jemand vertraut mir". Im Zusammenhang mit Psychological Safety ist eher gemeint "ich fühle mich sicher". Das hat natürlich auch etwas mit Vertrauen zu tun - aber nicht nur. Psychologische Sicherheit wird in jedem Moment von Kooperation neu "produziert" - oder eben auch nicht: Jedes Teammitglied inkl. der Führungskraft kann dazu beitragen, anderen die Sicherheit zu vermitteln, sich auf unsicheres Terrain zu begeben und sich dabei ggf. auch verletzbar zeigen zu können.

Führungskräfte haben beim Fördern von Psychological Safety eine wichtige Rolle

Um als Führungskraft diese "gefühlte Sicherheit" in Ihrem Team zu fördern, sollten Sie parallel zwei Ebenen im Blick haben:

  • Vorbild sein: Scheuen Sie sich nicht, eigene Fehler anzusprechen und noch Unfertiges zur Diskussion zu stellen. Achten Sie auch darauf, weniger urteilend auf das Verhalten anderer zu reagieren und fragen Sie stattdessen mehr nach.
  • Einen Rahmen gestalten: Bieten Sie Gesprächsformate an, in denen die Mitglieder Ihres Teams einander Feedback dazu geben können, was sie als förderlich oder hinderlich für das Entstehen eines Klimas gefühlter Sicherheit erleben und wo sie im Ergebnis Möglichkeiten für ihren ganz persönlichen Beitrag zu diesem sicheren Rahmen erkunden.

Je volatiler sich das Umfeld von Organisationen gestaltet, desto öfter wird in Teams Unsicherheit erlebt. In der Folge steigt die Wahrscheinlichkeit von Konflikten und damit zugleich die Notwendigkeit, sie zeitnah und vor allem wirksam zu bearbeiten. Hier spielt Psychological Safety eine zentrale Rolle.

Instinktive Reaktionen von Kampf oder Flucht reduzieren das Erleben von Sicherheit

Zurück zum oben beschriebenen Start in die Konfliktmoderation und dem Statement "Ich werde hier gar nichts sagen!" Jeder in der Runde interpretiert diesen Satz in Bruchteilen von Sekunden - meist ganz unbewusst. Für mich als Moderatorin ist es naheliegend, ihn als Verweigerung und klare Absage an mich persönlich zu deuten. Ein damit verbundenes Gefühl von Bedrohung kann bei mir zu zwei sehr typischen Reflexen führen: Kampf oder Flucht. Im Angriffsmodus könnte ich antworten: "Die Erwartung ist hier schon, dass jeder sich beteiligt. Genau darauf haben Sie sich auch in Ihren Teamregeln geeinigt!" Gebe ich meinem Fluchtimpuls nach, gehe ich vielleicht schnell über die Bemerkung hinweg und wende mich sofort an das nächste Teammitglied.

Mit beiden Reaktionen würde ich als Moderatorin instinktiv versuchen, mich selbst zu schützen. Der Grad der gefühlten Sicherheit im Raum nimmt jedoch spürbar ab: Der Autor jenes Satzes zieht sich möglicherweise gänzlich zurück oder er bereitet bereits eine nächste scharfe Bemerkung vor. Die meisten anderen werden unsere Dynamik als Irritation erleben und in der Folge vermutlich eher vorsichtiger agieren und sich zurückhalten.

Eine Konfliktmoderation verspricht jedoch nur dann Erfolg, wenn die Teilnehmenden den Mut fassen, bisher Unausgesprochenes tatsächlich anzusprechen. Mein Auftrag als Moderatorin besteht darin, eine Atmosphäre zu schaffen, in der es leichter fällt, sich zu öffnen. Wenn schon zu Beginn des Workshops kein ausreichendes Gefühl der Sicherheit entsteht, wird dies kaum gelingen.

Selbstreflexion und bewusstes Verhalten fördern das Erleben von Sicherheit

Als Moderatorin sollte ich in solchen Momenten persönlicher Verunsicherung schnell wieder in eine gute innere Ruhe kommen. Dafür ist es für mich wichtig, diese Situationen zunächst erst einmal konsequent im Nachhinein zu reflektieren und dabei nach alternativen Ansätzen für meine Deutung und mein anschließendes Verhalten zu suchen. Eine solche regelmäßige Selbstreflexion hilft mir, um dann in der konkreten Situation auf eine konstruktive Weise zu reagieren.

Wie könnte ich den Satz "Ich werde hier gar nichts sagen!" anders interpretieren? Ich könnte den Satz zum Beispiel als eine Schutzreaktion verstehen, die auf bisher unausgesprochene Ängste hinweist - etwa davor, dass während des Workshops plötzlich Dinge auf den Tisch kommen, die schon bestehende Spannungen weiter anheizen. Wenn ein Konfliktworkshop "aus dem Ruder läuft", steigt unweigerlich die Gefahr, dass sich Atmosphäre und Leistungsfähigkeit im Team noch einmal zusätzlich verschlechtern. Wenn ich den Satz des Teilnehmers in diesem Sinne deute, schließe ich daraus, dass es vor dem Ansprechen konkreter Konfliktthemen erst einmal etwas ganz anderes braucht: Einen höheren Grad an gefühlter Sicherheit für alle im Raum.

Wenn ich also "hinter" dem scheinbaren Angriff jenes Teilnehmers eine Angst vermute, dann reagiere ich als Moderatorin anders: Ich nehme Geschwindigkeit aus der Diskussion und gehe mit der Gruppe erst einmal in ein Gespräch über die Erfahrungen, die sie mit einer solchen Art von Workshops haben. Wir sprechen über ihre Wünsche an eine gute Workshopgestaltung und über meine Art zu moderieren. Ein schroffer Satz zu Beginn eines Workshops kann so zu einem Türöffner dafür werden, dass auch andere über ihr mögliches Unbehagen sprechen. So entsteht eine Erlaubnis für Verletzlichkeit.

Das "Wie" beeinflusst das Bearbeiten des "Was" entscheidend

Während wir gemeinsam einen Weg für das "Wie" dieses Workshops suchen, verändert sich spürbar etwas im Raum: Es entsteht eine neue Tiefe und eine neue fühlbare Sicherheit. Schritt für Schritt nähern wir uns den "eigentlichen" Themen. Bisher Unausgesprochenes wird angesprochen. Da, wo bisher Irritation und Verletzung erlebt wurden, entsteht ein neues Verständnis füreinander. Vereinbarungen für den künftigen Umgang mit herausfordernden Situationen werden getroffen. Manchmal sagt jemand in einer Abschlussrunde explizit "Ich habe mich hier sicher gefühlt." Und eigentlich ist es noch nie vorgekommen, dass jemand durchgängig geschwiegen hätte ...

Was für mich als Moderatorin in einem Konfliktworkshop hilfreich ist, lässt sich auch auf Führungskräfte übertragen. Wir alle erleben Situationen, die für uns heikel sind: Wir nehmen etwas als bedrohlich wahr und reagieren in Bruchteilen von Sekunden. Wenn wir uns die Zeit dafür nehmen, solche Erfahrungen zunächst nachträglich zu reflektieren und allmählich bewusst alternative Wahrnehmungs- und Handlungsansätze auszuprobieren, kann dies wesentlich zu einem Klima der gefühlten Sicherheit in einem Team beitragen. Und Psychological Safety ist eben kein Selbstzweck, sondern eine der wichtigsten Voraussetzungen für erfolgreiche Teams.

Literatur:

Amy C. Edmondson: Die angstfreie Organisation, Franz Vahlen GmbH, München, 2020

Google's Project Aristotle

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