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02. März 21

Geschäftsmodellinnovation - Placebo oder Allheilmittel?

Die stetig zunehmende Digitalisierung aller Lebens- und Unternehmensbereiche lässt den Ruf nach Geschäftsmodellinnovationen lauter werden. Oftmals erscheint eine Neuausrichtung des Geschäftes als die eine, einfache und umfassende Antwort auf alle aktuellen Herausforderungen. In der Tat bedarf es für eine erfolgreiche Positionierung mit digitalen Angeboten oft neuer Geschäftsmodelle. Und dabei zeigt die Praxis: wirkliche Innovation auf diesem Gebiet, d.h. nicht nur das Generieren von zukunftstauglichen Geschäftsideen, sondern deren nachhaltig erfolgreiche Implementierung, sind einfacher gefordert als realisiert. Häufige Ursachen hierfür sind, dass das angestrebte Geschäftsmodell nicht ausreichend validiert wurde und/oder die notwendige Organisationsveränderung zu seiner Implementierung unterschätzt wurde.

Gleichzeitig rollt seit einiger Zeit die Welle der "Agilisierung von Organisationen", teilweise verbunden mit der Implementierung eines agilen "Frameworks" wie z.B. SAFe®. Häufig wird das agile Organisationsdesign dabei unzureichend mit einem Sinn und Zweck, einem Purpose, verbunden: "Wozu soll uns die Agilisierung dienen? Welches Ziel wollen wir damit erreichen?" Kurz: Was soll nach der Agilisierung besser funktionieren oder überhaupt erst funktionieren? Welchen Beitrag leistet die Agilisierung bei der Umsetzung unserer Strategie?


Wie können "digitale" Strategieentwicklung und "agiles" Organisationsdesign zusammengebracht werden?

1. Strategie, Geschäftsmodellinnovation und Organisationsdesign sind grundsätzlich gemeinsam zu denken

Geschäftsmodellinnovation und Organisationsdesign müssen nicht in jeder Strategieentwicklung und insbesondere Strategieumsetzung die gleiche Bedeutung und denselben Raum einnehmen. Zu jeder der drei Dimensionen muss jedoch die Abhängigkeit zu den beiden anderen verstanden werden - und diese muss transparent sein. Welche Rolle spielt die Implementierung neuer Geschäftsmodelle in der Umsetzung der Strategie? Wie müssen unsere Prozesse und unsere Organisation weiterentwickelt werden, um die Geschäftsmodelle effektiv und effizient betreiben zu können? Wie unterstützt die geplante Agilisierung unser (neues) Geschäftsmodell?


2. Der Aufwand zur Implementierung neuer Geschäftsmodelle muss realistisch eingeschätzt werden

Das Wort "neu" beinhaltet, dass häufig der bekannte und verstandene Raum bzgl. Kund*innen, Mitbewerber*innen, notwendiger Kompetenzen verlassen wird. Damit geht erfahrungsgemäß eine Überschätzung der Chancen bei gleichzeitiger Unterschätzung der Schwierigkeiten einher. Viele neue Märkte erscheinen aus der Ferne als "Blue Ocean"1 - erst beim Sprung hinein erkennt man die unzähligen kleinen und großen Haie. Daher sollten neue Geschäftsmodelle eher zu viel als zu wenig validiert werden. Validierung erfolgt dabei im Kontakt mit potenziellen Kund*innen - also immer außerhalb des Gebäudes ("The truth is outside the building!"). Selbstverständlich sind die Desktop-Research-Hausaufgaben zu erledigen. Doch: Lieber früher als später muss im Kundenkontakt geprüft werden: Ist das Angebot für Kund*innen wirklich begehrenswert? Sehen Kund*innen Vorteile im angestrebten Bezahlmodell (z.B. Subskription) und akzeptieren es? Wer ist wirklich bereit, Verträge abzuschließen?2. Bei B2C-Geschäften sind hier erfahrungsgemäß 100 Interviews anzustreben, bei B2B mindestens 20. Und nach einer Anpassung des Modells geht die Runde von vorne los. Erst wenn sich ein Geschäftsmodell wirklich bestätigt hat, werden aufwändige und umfangreiche Investitionen, z.B. in IT-Systeme, Sales & Marketing oder Organisationsanpassungen angepackt.


3. Für viele Organisationen ist es eine große Herausforderung, unterschiedliche Geschäftsmodelle in einer Organisation zu betreiben

Unterschiedliche Geschäftsmodelle erfolgreich "zu betreiben", erfordert häufig unterschiedliche Organisationsdesigns inkl. unterschiedlicher Prozesse. Zur Beantwortung der Frage, wie viele unterschiedliche Geschäftsmodelle in einer Organisation möglich sind, ist zu klären, wie viele unterschiedliche Organisationsdesigns dazu notwendig sind und wie diese in der Organisation dargestellt werden können. In zahlreichen Fällen ist gar die Gründung einer neuen, organisatorisch getrennten Einheit notwendig - mit z.B. anderen IT-Systemen, um anderen Prozesse abzubilden, anderen Organisationsformen für Entwicklung oder Sales und anderen Instrumenten zur Mitarbeiterführung und Unternehmenssteuerung.

Diese Punkte erfolgreich zu berücksichtigen ist kein Hexenwerk. Es bedarf des holistischen Blicks auf das Zusammenwirken aus Strategie, Innovation und Organisationsdesign. Und der konsequenten Anwendung bereits etablierter Vorgehensweisen. Dann gelingt die nachhaltig erfolgreiche Positionierung im digitalen Umfeld.

1 nach W. Chan Kim, Renee Mauborgne, "Blue Ocean Strategy", Havard Business Review, 2004

2 nach Steve Blank, "The Four Steps to the Epiphany", 2020; Eric Ries, "The Lean Start-up", 2011; Étienne Garbugli, "Lean B2B", 2014; Carsten Linz, "Radical Business Model Transformation", 2017

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