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07. Oktober 21

Editorial: Ein systemischer Blick auf Psychological Safety

Um "Psychological Safety" in der systemischen Welt zu verorten, lassen Sie uns zunächst von einem sozialen System, das von seiner Umwelt abgrenzbar ist, sprechen. Ein solches soziales System (z.B. ein Team innerhalb einer Organisation) orientiert sich - bei längerem Bestand - nach dem Prinzip, dass Beziehungsqualität und Aufgabenerfüllung gleich relevant sind. Es besteht also demnach eine Wechselwirkung zwischen der Qualität von Beziehungen und dem Grad wie sehr dieses Team dem Bündel an Erwartungen gerecht werden kann.

Psychological Safety kann definiert werden als Investition in einen Prozess, der Beziehungssicherheit zum Geflecht des sozialen Systems gewährt. (Nicht etwa Beziehungssicherheit oder Nähe zu einzelnen Individuen!) Das Ziel ist, unbehinderten Zugriff auf das Potenzial des Teams zu erlangen. Das Team teilt eine Überzeugung der Intoleranz gegenüber zurückhaltenden Bedingungen. Es teilt nicht den Gedanken der Harmonie oder der Sympathiemaximierung Einzelner.

Psychologische Sicherheit beugt Fehlern vor und maximiert gegenseitiges Lernen

Teams, die hohen Herausforderungen zu begegnen haben, sind der Aufgabenerfüllung so nahe verbunden, dass sich - beinahe natürlich - Intoleranz gegenüber zurückhaltenden Bedingungen ergibt.
In der Regel erhöhen solche Systeme den Grad der Offenheit, um sich mit Feedback zu optimieren, Fehlern vorzubeugen und das gegenseitige Lernen zu maximieren. Das tun sie nicht, weil es überdimensional viel Nähe oder Sympathie zu verwalten gilt, sondern weil die Aufgabe es schlicht erfordert. Wichtig ist dabei der Verlass auf das Team, diese Verbesserungsvorschläge zu würdigen und Lernbereitschaft zu zeigen. Die Mindestvoraussetzungen sind dabei eine unterstützende Haltung der Führungskräfte und ausreichend Gelegenheiten, um vom erhöhten Grad der Offenheit Gebrauch machen zu können.

Ein leuchtendes Beispiel aus dem Spitzensport sind hier die stets gut behüteten Türen der Mannschaftskabinen. Die Mannschaftskabine ist der Ort, wo der notwendige Grad der Offenheit zur Erreichung der Ziele prozessiert wird und somit ist dieser Bereich nicht für Personen außerhalb der Mannschaft geeignet bzw. zu verstehen.

Die Sicherheit, um in produktive Konflikte zu gehen

Psychological Safety beruht auf einer weiteren wichtigen Regel: Dem Verlass auf Resymmetrisierung von Einflussnahme und Steuerung. Das Team kann mit dominanten Phasen und starker Steuerung von einzelnen Teammitgliedern nur solange gut umgehen, wie es sich auf eine geteilte Achtsamkeit bezüglich Ausgleich und Gleichverteilung bzw. dem Thematisieren der ungleich verteilten Steuerung verlassen kann. Psychologische Sicherheit bedeutet also nicht einfach nur nett zu sein, sondern erfordert Aufrichtigkeit und die Bereitschaft, sich in produktive Konflikte zu begeben, um von verschiedenen Sichtweisen zu lernen. Diese Sicherheit versteht sich nicht als Luxus oder als Herabsetzen von Leistungsstandards, sondern ist sehr wohl damit vereinbar, sich ehrgeizige Ziele zu setzen. Mehr noch: sie schafft optimale Voraussetzungen für eine ehrliche, herausfordernde kollaborative und effektive Arbeitsumgebung, die Bestleistung fördert - gerade in der VUCA-Welt. Psychologische Sicherheit ist nicht einfach ein anderes Wort für Vertrauen, sondern bezieht sich auf Erwartungen über unmittelbare zwischenmenschliche Konsequenzen und beschreibt eine Erfahrung auf der Ebene der Gruppe. (Während Vertrauen sich eher auf ein bestimmtes Individuum bezieht.)

Psychologische Sicherheit ist deshalb auch kein Persönlichkeitsmerkmal sondern beschreibt die Arbeitsatmosphäre in einem Team. Sie wirkt sich ähnlich auf Menschen mit verschiedenen Persönlichkeitsmerkmalen aus, unabhängig davon, ob sie zur Introversion oder Extraversion neigen.

Wie man als Führungskraft Psychologische Sicherheit in drei Schritten fördern kann:

  1. Gemeinsames Arbeitsverständnis herstellen
    Sinn und Relevanz der Tätigkeit, sowie Beitrag zum Gesamterfolg nachvollziehbar beschreiben. ("Ich weiß wann wir erfolgreich sind und wofür ich hier bin!")
  2. Zum Mitwirken, Mundaufmachen und Lernen einladen
    Eine fragende, interessierte, forschende Grundhaltung einnehmen (anstatt alles zu wissen) und Gesprächspartner ermutigen, die eigenen Gedanken zu formulieren; geeignete Strukturen schaffen, um systematisch Ideen, Bedenken, Feedback zu sammeln.
  3. Produktiv reagieren
    Wertschätzung ist gerade dann wichtig, wenn der Gesprächspartner anderer Meinung ist oder mit seinem Vorgehen gescheitert ist. Scheitern entstigmatisieren, indem die Lernaspekte betont und lösungsorientiertes Denken forciert wird (anstatt Schuldfragen zu "klären").

Quellen:

Edmondson, A. C. (2002). Managing the risk of learning; Psychological safety in work teams, Boston, MA; Division of Research, Harvard Business School, and Frazier, M. L., Fainshmidt, S., Klinger, R. L., Pezeshkan, A, & Vracheva, V. (2017). Psychological safety: A meta-analytic review and extension. Personnel Psychology, 70 (1)

Amy C. Edmondson: Die angstfreie Organisation, Franz Vahlen GmbH, München, 2020

Psychological Safety im osb-i Lernweg

Nutzen sie den Lernweg der osb-i: Professional Leadership für Deep Dives + Praxisanwendungen in Psychological Safety und weiteren modernen Führungsaufgaben im Organisationsdesign, der Strategie-Entwicklung und dem Begleiten von agiler Veränderung.

SAVE THE DATE: Virtueller Informationsabend zu unserem Lernweg am 14. Oktober 2021 (18-19 Uhr) 
Anmeldungen bitte an Ulrike Fahrner mailen

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