20. Mai 25

Bessere Prozesse gesucht: Unklar oder Uneinig?
Was meinen wir mit "Wir brauchen bessere Prozesse" eigentlich wirklich? Wenn Führungskräfte klagen, dass "die Prozesse nicht stimmen", kann dahinter vieles stecken. Der Begriff Prozess ist im Organisationskontext erstaunlich unscharf. Die einen denken an Diagramme mit bunten Kästchen und Pfeilen, die anderen an die täglichen Interaktionen mit Kolleg*innen. In unserer Beratungspraxis erleben wir oft, dass Teams "klare Prozesse" fordern, dabei aber unterschiedliche Vorstellungen haben, was das konkret bedeutet. Bevor man also hektisch neue Prozessdokumente erstellt, lohnt es sich, einen Schritt zurückzumachen und zu klären, wovon genau die Rede ist.
Um uns dieser Frage zu nähern, evaluieren wir neben der konkreten Zielsetzung die erforderliche Ebene: Geht es um die Mikroebene (Abläufe in einem Team oder einer Abteilung), um die Mesoebene (bereichsübergreifende Abstimmung), oder um die Makroebene (unternehmensweite, strategische Prozessfragen)? Zusätzlich betrachten wir den Komplexitätsgrad: Handelt es sich um eine einfache Optimierung (Feinschliff eines bestehenden Ablaufs), eine grundlegende Neugestaltung oder ein komplexes Governance-Thema?
Prozesskategorisierung (Komplexität der Anforderung & Ebene, mit Beispielen) © osb-i
Eine erste Evaluierung der vorliegenden Problematik mithilfe der Kombination von Ebene und Komplexität ermöglicht es, das Anliegen richtig einzuordnen und einen passenden Ansatz zu wählen. So kann für die Verbesserung eines einzelnen Team-Prozesses schon eine kurze interne Arbeitssitzung genügen, wobei es ausreicht die Ergebnisse z.B. stichwortartig festzuhalten – die Betroffenen können diese ohnehin zuordnen. Ganz anders gestaltet sich das Vorgehen im Rahmen einer Transformation der gesamten Prozesslandschaft. Hier braucht es zahlreiche hierarchie- und bereichsübergreifende Abstimmungen, spezialisierte Software und umfassendes Prozess-Know-how im Beratungs- und Projektteam.
Gute Prozessarbeit ist ein Handwerk, das man nicht über Nacht lernt. Oft wird unterschätzt, wie viel Wissen und Erfahrung nötig sind, um Abläufe wirksam zu gestalten. Wer schon einmal Systeme auf Basis einer Prozessdokumentation implementiert hat, kennt den unermesslichen Wert einer sauberen Prozessklärung im Vorfeld. In unserer Beratung werden wir oft dann um Unterstützung gebeten, wenn sich bei der Implementierung zeigt, dass festgeschriebene Abläufe und Zuständigkeiten nicht wie geplant umsetzbar sind. Dann muss unter großem Zeitdruck ein realistisches Prozessverständnis entwickelt werden. Ein zentrales Werkzeug ist hierfür die systemische Prozessmodellierung. Dabei steht eine abgestimmte Abbildung des tatsächlich erlebten und gelebten Prozesses im Vordergrund. Eine formale Notation (zum Beispiel BPMN 2.0) – also eine standardisierte und strukturierte Sprache, mit der Geschäftsprozesse klar und eindeutig beschrieben werden – ermöglicht es, systematisch alles Wichtige zu bedenken (von Rollen über Entscheidungen bis zum Informationsfluss). In Workshops erleben wir dann oft Aha-Momente: Beim gemeinsamen Skizzieren eines Prozesses fällt auf, dass an einer Stelle gar nichts definiert ist. "Darüber haben wir noch nie gesprochen – wer entscheidet hier eigentlich?" Solche blinden Flecken werden durch die Modellierung sichtbar und können gezielt bearbeitet werden.
Allerdings braucht nicht jedes Anliegen ein detailliertes Diagramm. Für einen groben Überblick oder das Onboarding neuer Kolleg*innen reicht oft eine einfache Skizze. Entscheidend ist das richtige Augenmaß bei der Wahl des Vorgehens. Dabei achten wir besonders darauf, ob ein Problem auf Unklarheit (niemand hat je eindeutig festgelegt, wie es laufen soll) oder auf Uneinigkeit (widersprüchliche Interessen) beruht. Ersteres lässt sich durch gemeinsamen Wissensaustausch und neue Festlegungen bearbeiten, letzteres braucht oftmals eine Kalibrierung der Steuerungssysteme.
Prozesse als eine von mehreren Dimensionen des Organisationsdesigns
Hinter dem Ruf nach "besseren Prozessen" verbergen sich manchmal tieferliegende Themen. Dann geht es um klare Verantwortlichkeiten, reibungslosere Abstimmung oder widersprüchliche Ziele – Angelegenheiten, die kein Prozessdiagramm allein lösen kann. Aus systemischer Perspektive ist Prozessarbeit auch eine Intervention: Der Weg der Klärung bietet die Möglichkeit, ein formales Prozessdenken mit Leben zu füllen. Wenn also eine Prozessinitiative mit dem Wunsch nach Optimierung startet und plötzlich grundlegende Organisationsfragen zutage fördert, ist das kein Scheitern – sondern im Gegenteil sehr produktiv. Indem man einen Prozess genau durchleuchtet, können sich Schwachstellen des Organisationsdesigns zeigen. Um herauszufinden, an welchen Stellhebeln ein Problem bestmöglich bearbeitet werden kann, orientieren wir uns am OD-Navigator. Diese Vorgehensweise stellt sicher, dass vernetzte und solide Lösungen entstehen können.
Am Ende geht es neben einer sauberen Prozessdokumentation auch darum, dass die Organisation Klarheit über Abläufe gewinnt und zielgerichtet zusammenarbeitet.
Wenn die Organisation jedoch nach getaner Arbeit immer noch nichts verändert, sollte man die Frage stellen: Was wird eigentlich geschützt, wenn alles so bleibt wie es ist?