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18. Juni 19

Resonanz und Mindfulness im Change - Die unterschätzten Wirkfaktoren der Veränderung

In den letzten Jahren ist unsere Change-Szene stark von agilen Ansätzen und dem Gedanken der agilen oder responsiven Organisation beeinflusst und angetrieben worden - zu Recht! Gerade in Bezug auf die Change-Methodik erwartet man heute schnelle, bewegliche, iterative und schlanke Formen und Werkzeuge. Auch wir verwenden Teile eines Lean Change-Methodenrepertoires und haben uns in einer Reihe von Newslettern und Veröffentlichungen intensiv damit beschäftigt.

Nun legt sich langsam die Aufgeregtheit der letzten Jahre und mancherorts blickt man ernüchtert auf die bisherigen Effekte solcher Initiativen, nicht zuletzt weil die Heilserwartungen vielfach überzogen waren. Aus unserer Sicht aber auch, weil eine Voraussetzung für gelingendes Changemanagement letztlich die Personen, ihre Haltung und ein gelingendes Zusammenspiel in ihren (neuen) Rollen im Kontext veränderter Strukturen sind. Vielerorts wurden die Schlüsselspieler zu anerkannten Botschaftern der neuen Modelle von Führung und Zusammenarbeit. Anderenorts zogen wichtige Personen eben nicht mit, waren nicht überzeugt, befürchteten zu viel aufs Spiel zu setzen oder waren schlicht überfordert und brauchten mehr Zeit. Die agilen Initiativen scheiterten. Diese asynchronen Entwicklungen in Bezug auf ein gemeinsames Verständnis eines Case for action und dem eigenen Verständnis, sich auch selbst verändern zu müssen, stellen in vielen Organisationen ein ernstes Implementierungsproblem dar. In einigen uns bekannten Unternehmen werden Begriffe wie Agilität und Digitalisierung als "Buzz-Words" sogar bereits geächtet.

In unserem Lernweg Change³ thematisieren wir diese Asynchronitäten im Baustein zur "Zeit im Change" und beschäftigen uns mit der Frage, wie die Zeithorizonte von Change-Akteuren miteinander besser verbunden werden können.

Die zentrale Frage ist aber grundsätzlicher Art: Welche zeitgemäßen Antworten braucht es für die (zunehmende) Beschleunigung in unserer Gesellschaft?

Nach Hartmut Rosa (Hartmut Rosa, 2016) sind moderne Gesellschaften (und somit auch Organisationen) durch eine systematische Veränderung der Zeitstrukturen gekennzeichnet, eine im Zeitalter des Internets gefühlte und auch messbare Beschleunigung in der Menge der Ereignisse pro Zeiteinheit. Hintergrund ist die Wachstums- und Eskalationsdynamik unseres Gesellschaftssystems, welches sich laufend stabilisieren muss, um sich selbst strukturell und kulturell reproduzieren zu können. Unsere Organisationen sind also auf Beschleunigung und Innovationsverdichtung angewiesen.

Kulturell und auch auf der Personenebene äußert sich dies häufig in dem Bestreben, die eigene Weltreichweite vergrößern zu wollen, mit der Folge einer permanenten Erreichbarkeit und Zugänglichkeit im stetigen Informationsfluss. Das Paradox dabei: Die Welt wird dadurch gleichermaßen "unverfügbar", sie weicht zurück. Unsere "Weltbeziehung" wird zunehmend gestört, Mensch und Sozialsystem (Gesellschaft, Institutionen Organisationen), Mensch und Natur werden systematisch "entfremdet". Ein gestörtes Weltverhältnis, das sich gleichzeitig Wirkung und Ursache ist (Hartmut Rosa, 2019).

Resonanz als Antwort

Nach Rosa braucht es stattdessen eine Bewegungsrichtung von der Ressourcenorientierung zur Resonanzorientierung. Eine neue Haltung zur Welt. Er schlägt vor: Wenn Beschleunigung das Problem ist, dann ist Resonanz vielleicht eine Lösung (... und nicht "Entschleunigung"). Dabei ist Resonanz mehr als Anerkennung, sie ist ein "Mitschwingen", welches es mir erlaubt, mich zu entwickeln und dieses liegt (um in der musikalischen Metapher zu bleiben) zwischen Dissonanz und Konsonanz. Ich werde von etwas berührt und antworte darauf (emotional, gedanklich, körperlich, ...). Die Folge ist eine persönliche Transformation. Resonanzbeziehungen können horizontal zwischen Personen aber auch zu "Dingen" und Erlebnissen stattfinden, aber sie lassen sich nicht systematisch herstellen.

Was bedeutet dies nun für die Gestaltung und das Management von Changeprozessen? Auf der Personenebene braucht es für gelingenden Change letztlich solche Resonanzerlebnisse, denn um "Neues" wirklich verständlich zu machen, muss es auch fühlbar werden. Eine solche Resonanz lässt sich nicht durch eng getaktete "Sounding Boards" erzeugen, sondern braucht "berührbare" Orte, die im Change immer entstehen aber viel zu häufig nicht ausgehalten oder "wegmoderiert" werden. Zwei negative und ein positives Beispiel:

  • Im Zuge einer Reorganisation im Maschinenbau trauern Industriemeister über den Verlust ihres bisherigen Titels und ihrer Führungsrolle und werden hierfür von der Werksleitung öffentlich gerügt.
  • Auf der mittleren Führungsebene eines großen Versicherers werden im Zuge eines neuen Kollaborationsmodells neue Führungskräfte qualifiziert, die bisherigen Führungskräfte erleben sich als zunehmend isoliert und "von gestern". Die Unternehmensführung greift diese Dynamik jedoch nicht auf, sondern verlagert die unangenehme Situation auf die Trainingsabteilung, um "Nachschulungen in Agilität" zu organisieren.
  • Im Zuge eines Phase-Outs in der Großgerätewartung entsteht erst wieder Begegnung zwischen oberer und unterer Führungsebene als sich beide Seiten offensiv ihren eigenen Ängsten und Ambivalenzen stellen müssen und darüber in eine gelingende Reflexion kommen.

Allen kritischen Beispielen ist gemein, dass sich die verantwortlichen Managementrollen nicht auf die Situation emotional einlassen wollen oder auch nicht können, weil es die Change-Architektur gar nicht zulässt.

Mindfulness als Antwort

Genau in diesem Element des "Sich Einlassens" liegt nach Deborah Rowland aber der Schlüssel zu einem "Mindful Change" (Deborah Rowland, 2017). Für sie startet Leading Change immer bei einem selbst: "Werde ein stiller Beobachter deiner eigenen Impulse, jenseits vom Autopiloten. Und mache dir bewusst, in welchem evolutionären System du dich bewegst und wie du deine eigene Antwort bewusst steuern könntest, statt nur habituell zu reagieren. Um Change zu führen brauche es "Self awareness und egoless intention". Mindfulness wird dabei in der Definition von Shapiro & Carlsen verstanden als "The cultivation of a deeper awareness of the self, others and the world through focused, non-jugdemental and intentional attention on the present moment". 

Führungskräfte mit Erfolg im Change unterscheiden sich von anderen Führungskräften durch ihre Fähigkeit diese Mindfulness in sich und anderen herzustellen und die Welt durch eine systemische Brille zu betrachten. Dadurch entsteht mit der Zeit eine entscheidend größere, interpretative Kompetenz. Erfolgsfaktor sei die Kombination von "Sein" und "Handeln". So ist auch der Titel ihres Buches "Still Moving" gemeint! Zentrale Aussagen daraus:

  • Es braucht eine Entschleunigung und Besinnung auf die vielfältigen Wahrnehmungen in der Veränderung, um gute und akzeptierte Entscheidungen treffen zu können. ("When leaders show up in all their humanity, it allows others to do the same")
  • Dazu gehören eine differenzierte Wahrnehmung des emotionalen Klimas, das Benennen der Beobachtungen und die sensible Resonanz mit anderen ("Empathize with the emotional climate of your system").
  • Instrumente dafür sind die Selbstbeobachtung im Hier-und-Jetzt ohne Rückgriffe auf bisherige Erfahrungen und die achtsame Entschleunigung der Kopplung zwischen Erleben, Reaktion & Urteilsbildung. Offene Beobachtung der Handlungsfolgen.
  • Dies sollte auf der Überzeugung basieren, dass auch Schwierigkeiten und Irritationen Aufmerksamkeit brauchen - alles was im System passiert, ist bedeutend ("Go towards difficulty")!

Fazit

Methodik und überzeugende inhaltliche Purpose-Argumentation sind im Rahmen einer Change-Initiative zweifellos von zentraler Bedeutung. Daneben sollten gerade im Kontext der Digitalen Transformation von Organisationen soziale und personale Resonanzerlebnisse als "critical incidents" der Personen- und Organisationsentwicklung ermöglicht oder vor allem aufgegriffen und wertschätzend bearbeitet werden. Sie sind keine Störungen, sondern notwendige Bedingungen für wirkungsvolle Veränderung. Wenn verantwortliche Führungskräfte oder Schlüsselrollen an ihrer Beobachtungs-/Urteils- und Konfrontationsfähigkeit arbeiten, sei es im Kontext von Achtsamkeitstrainings oder in gruppendynamischen Formaten, so ist dies mehr denn je eine hilfreiche Unterstützung für organisationale Veränderung.

Literatur:

  • Rosa, Hartmut: "Resonanz", Suhrkamp, Berlin 2016
  • Rosa, Hartmut: "Unverfügbarkeit", Residenz Verlag 2019
  • Rowland, Deborah: "Still Moving - How to lead to mindful change"; Wiley, Blackwell, 2017
  • Shapiro, S.L & Carlson, L.E: "The Art and science of mindfulness", American Psychological Association, Washington 2009

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