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18. Dezember 18

Gun-Drills als Instrument zur Entwicklung einer Organizational Mindfulness

von Frank von der Reith & Rainer Lindau (Lufthansa Technik)

Wenn Führungskräfte oder Personal- und Organisationsentwickler sich mehr Empowerment wünschen, dann meinen sie damit oft eine offensivere Einbeziehung und Stärkung der Mitarbeiterebene. Empowerment kann aber auch bedeuten, einen bereits eingeübten Verantwortungsrahmen mit neuer Aufmerksamkeit oder Handlungsorientierung auszustatten. Dabei stellt sich eine zentrale Frage: Wie bringen wir Bewegung und Achtsamkeit in ein Thema, das sich gegen die operative Alltagsroutine durchsetzen muss?

Noch mehr Auftrieb für das Quality & Safety Management

Zusammen mit dem Fachbereich Qualitätsmanagement der Lufthansa Technik Gruppe entwickelten wir eine Workshopreihe zur Steigerung und nachhaltigen Ausprägung der Qualitäts- und Sicherheitsorientierung für leitende Führungskräfte der Lufthansa Technik Betriebe und Gesellschaften.
Grundlage bildeten die zentralen Prinzipien von Kathleen Sutcliffe und Karl Weik: Fehlermanagement, Vermeidung vereinfachender Erklärungen, Sensibilität für betriebliche Abläufe, Streben nach Belastbarkeit und Respekt vor fachlichem Wissen und Können. Das besondere Moment dieses Ansatzes ist es, die kollektive Aufmerksamkeit und Verantwortung der Führungsteams in den Mittelpunkt zu stellen. Dabei verstehen wir unter organisationaler Achtsamkeit vor allem eine bewusste Gestaltung der Kollaboration und Entscheidungskommunikation im Unternehmen. Unser Ansatz zielt auf eine "veränderte Interaktion im Managementteam" und nicht auf die übliche Korrektur individuellen Verhaltens, prozessuale Reportingstrukturen oder den Appell an Normen und Werte. Aus diesem Grunde laden wir vorzugsweise komplette Managementteams in unsere Workshops ein und regen deren Reflexion und Handlungsorientierung an.

Ablauf der Veranstaltungen

Alle Workshops werden durch den Leiter des Qualitätsmanagements, Herrn Rainer Lindau, mit einem eindrucksvollen "Case for action" eröffnet. Er betont die große Bedeutung des Themas für das Top-Management und demonstriert anhand von illustrierten Beispielen, welche unbeabsichtigten Folgen kollektive "Unaufmerksamkeit" haben könnte. Im Anschluss reflektieren gemischte Führungsteams aus unterschiedlichen Einheiten ihren Umgang mit Qualitätsfragen. Dabei setzen wir auf eine tiefe Reflexion zur Mustersuche und motivieren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, sich mit der Situation in der eigenen Einheit auseinanderzusetzen.

Initiale Management-Simulation (Gun Drills) als Weckruf

Im nächsten Schritt werden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit einer für diese Fragen passgenau entwickelten und höchst lebendigen Managementsimulation konfrontiert. Gebauer (2017) bezeichnet solche erlebnisaktivierenden Simulationen als "Gun Drills" und bezieht sich dabei auf die Methode des Kanonenbohrens, das bei Tiefenbohrungen durch verschiedene, auch sehr harte Materialschichten Anwendung findet.
Ein konzeptioneller Gun Drill ermöglicht das Durchspielen eines potenziell unerwarteten Ereignisses (unklare bzw. überraschende Daten / Störungen / ungewöhnliches Kundenverhalten / ...), um implizite Annahmen zu überprüfen und zu lernen, wie man in einer solchen Situation gemeinsam Sinn erzeugen und zu Entscheidungen kommen kann.
Hierfür verwenden wir einen in seinen Grundzügen realitätsnahen Case, in dem die Mitglieder sich in die Rolle einer operativen Führungsmannschaft eines fiktiven Standortes zur Überholung von Flugzeugen begeben. In einem komplexen Umfeld mit konkurrierenden Anforderungen müssen sie unter Zeitdruck Entscheidungen im Dreieck Quality, Time und Costs treffen. Dabei werden ihre Interaktionen beobachtet und dokumentiert.

Nach einer ersten Auswertung und der anschließenden Einführung in die Prinzipien von Weick und Sutcliffe geht die Simulation in eine zweite Entscheidungsrunde. Hier wird die kollektive Aufmerksamkeit für das Thema Quality und Safety beobachtet, um förderliche bzw. hinderliche Faktoren identifizieren zu können. Erst danach werden die Hintergründe des Gun-Drills erläutert und transparent gemacht. So gelingt es uns, die teilnehmenden Managementteams für ihre eigenen Muster im Umgang mit "Nicht-Wissen" und "Unvorhersehbarkeiten" zu sensibilisieren.

Die Learnings werden von den Managementteams direkt in konkrete Verabredungen für den eigenen Verantwortungsbereich übertragen, um zum Beispiel ...

  • ... im eigenen Team routinemäßig die Aufmerksamkeit für "schwache Signale" abzufragen und sich wechselseitig bzgl. Qualität "auf den Zahn zu fühlen"
  • ... sich zu ermutigen, die Rolle des Qualitätsmanagements als "organisationaler Stachel im Fleisch" zu nutzen
  • ... Purpose und Rolle einer gemeinsamen Aufmerksamkeit für Quality und Safety immer wieder aktiv vermitteln
  • ... miteinander Zivilcourage und Konfliktbereitschaft vorzuleben (gegen defensive Muster des Verleugnens und Vertuschens) und eine aktive Bereitschaft zu zeigen, Dinge zu hinterfragen.

Qualitative Messbarkeit sicherstellen

Hilfreich bei der Implementierung des Instruments "Gun Drills" ist unser "Radar of Organizational Mindfulness", ein einfach anwendbares, qualitatives Messinstrument, mit dem wir anhand von 5 Skalen und dahinterliegenden 23 Statements den Status einer Einheit zu diesen Fragen überprüfen.

Dadurch gelingt es zudem, in den Führungsteams der unterschiedlichsten Einheiten eine gemeinsame Sprache für Qualitäts- und Sicherheitsthemen zu etablieren. Unsere Fragestellungen haben somit eine hohe Chance "auf und nicht unter dem Tisch" zu landen, wo sie sogleich angepackt werden können. Lösungsorientiert und ganz ohne blockierendes, wechselseitiges Blaming,

Die zentralen Fragen dabei sind:

  • Bemerken wir als Managementteam das Unerwartete?
  • Wenn wir es bemerken: Wie können wir unsere Teams dazu befähigen, ebenfalls ein Sensorium für das Unerwartete zu entwickeln und Schwachstellen aktiv anzusprechen?
  • Wie gelingt es uns, gleichzeitig stolz auf unsere Erfolge zu sein und trotzdem hellhörig für schwache Signale zu bleiben?
  • Wie können wir die Themen Qualität und Sicherheit im Unternehmen zu einem Team-Sport machen?

Organisationales Lernen 2. Ordnung

Mithilfe von "Gun Drills" entstehen neue Routinen der Reflexion und Handlungsfähigkeit in den operativen Managementteams vor Ort, die ein zeitgemäßes Risikobewusstsein und -verhalten im Umgang mit Unvorhersehbarkeit und Komplexität ermöglichen. Und das nicht anstatt, sondern zusätzlich zu den eingespielten, prozessualen und individuellen Routinen. Dabei wird die "Glasdecke" (Gebauer, 2017) zwischen der bisherigen Kontrolle des Erwartbaren durch Organisation von Sicherheit von Regeln, Techniken, Standards, Plänen durchbrochen. Darüber hinaus gelingt es, das Organisieren des Umgangs mit Unsicherheit durch kollektive Aufmerksamkeit zeitgemäß zu ergänzen.

Literatur:

Gebauer, A.: Kollektive Achtsamkeit organisieren - Strategien und Werkzeuge für eine proaktive Risikokultur, 2017, Schäffer Poeschel Verlag Stuttgart

Gergs, H.-J. (2016). Die Kunst der kontinuierlichen Selbsterneuerung. Weinheim: Beltz-Verlag.

Weick & Sutcliffe: "Das Unerwartete managen - Wie Unternehmen aus Extremsituationen lernen", Klett Cotta, November 2016

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